14. Podcast-Folge: Wie macht man eine Webseite barrierefrei?
Podcast - Digitale Barrierefreiheit
Im Gespräch mit Joschi Kuphal über barrierefreie Webentwicklung.
Eine barrierefreie Webseite wird immer wichtiger. Öffentliche Stellen sind bereits seit einigen Jahren verpflichtet barrierefreie Webseiten anzubieten. Mit dem Barrierefreiheitstärkungsgesetz werden nun auch Teile der Privatwirtschaft dazu verpflichtet.
Doch wie entwickelt man überhaupt eine barrierefreie Webseite? Darüber sprechen wir mit einem richtigen Allrounder auf dem Gebiet barrierefreier Webseiten: dem Tester, Programmierer und Dozenten Joschi Kuphal von Tollwerk.
Sprecher*innen: Dennis Bruder (Moderator), Alexandra Goedecke (Einsprecher)
Gast: Joschi Kuphal
Joschi Kuphal (Teaser mit Musikuntermalung): Ich mache immer das Beispiel, dass ich sage: „Wenn ich mir zwei Farben raussuche, die zueinander miserabel kontrastieren, dann kostet mich das exakt genauso viel Zeit wie zwei Farben rauszusuchen, die einen guten Kontrast zueinander haben. Es ist also keine Frage des Aufwands, sondern das ist eine Frage des Bewusstseins erstmal, sonst kann ich solche Entscheidungen gar nicht richtig treffen, und dann des Wollens. Ich muss wissen, dass ich es tun kann, und ich muss es wollen, ich muss handwerklich sauber und fachlich gut arbeiten, dann kommen dabei barrierefreie Ergebnisse raus.
Alexandra Goedeke (Intro mit Musikuntermalung): Barriere? Los! Der Podcast für barrierefreie Lösungen im digitalen Raum.
Dennis Bruder: Hallo und Willkommen zu Barriere Los, dem Podcast zur digitalen Barrierefreiheit. Das Jahr neigt sich ja langsam dem Ende zu, und fast schon zum Abschluss wollen wir uns heute mit dem Thema Barrierefreie Webentwicklung und Webprogrammierung beschäftigen. Dazu haben wir einen Gast eingeladen, der ein richtiger Allrounder auf dem Gebiet digitale Barrierefreiheit ist. Er programmiert nämlich nicht nur, sondern er testet auch auf digitale Barrierefreiheit, er doziert und berät. Bevor wir nun aber mit unserem Gast, Joschi Kuphal, sprechen, stellt ihn unsere Werkstatt Mitarbeiterin Alexandra Goedeke in einem kurzen Porträt vor.
Alexandra Goedeke (Einspieler mit Musikuntermalung): Was Barrierefreiheit angeht, ist Joschi Kuphal ein Allrounder. Während seiner Ausbildung beschäftigte er sich zunächst baulicher, später mit digitaler Barrierefreiheit. Das machte er auch zum Beruf. Mit seiner selbst gegründeten Agentur Tollwerk deckt er das Thema Barrierefreiheit vom Design über die Programmierung bis hin zur Beratung ab. Außerdem ist Joschi Kuphal zertifizierter Tester und Dozent für digitale Barrierefreiheit.
Dennis Bruder: Ja, Joschi, jetzt haben wir ja schon eine ganze Menge von dir gehört und dass du sehr breit aufgestellt bist. Und heute wollen wir über das Thema Webentwicklung, Webprogrammierung sprechen. Was sind denn so für dich die größten Herausforderungen, wenn es um barrierefreie Webseiten, um barrierefreie Webentwicklung geht?
Joschi Kuphal: Ja, erstmal schön, dass ich da sein darf. Ich freue mich, dass ich was zum Thema Barrierefreie Webentwicklung erzählen kann. Was die größten Herausforderungen sind? Ich glaube, das beginnt oft einfach damit, dass Barrierefreiheit als Konzept mal gar nicht so richtig bekannt ist, unter anderem, und man bei Adam und Eva anfangen muss, es sei denn, so ein Projekt kommt schon deshalb zustande, weil jemand auf uns zukommt, der weiß, dass wir auf dem Gebiet spezialisiert sind.
Und dann ist natürlich das Thema Barrierefreie Webentwicklung ein unglaublich umfangreiches mit sehr vielen einzelnen Gewerken. Es hat Design‑Anteile, Konzept‑Anteile. Es geht natürlich viel um Technik und Programmierung, aber auch der Inhalt spielt am Ende eine große Rolle. Und das heißt, man muss eine sehr große Bandbreite erst mal überhaupt abdecken und bewusst gemacht haben. Und da liegen für mich, glaube ich, die wichtigsten Herausforderungen, dafür die Sensibilität erst mal da zu haben und dann in den richtigen Schritten in so ein Projekt einzusteigen.
Dennis Bruder: Ja, da sind wir dann auch schon genau bei den Schritten. Also, du hast ja gerade gesagt, dass es viele einzelne Aspekte sind. Aber wenn man dann mal von der Skizze oder vom Beginn mit einem Kunden, mit einer Kundin, geht, wie gehst denn du überhaupt so ein barrierefreies Webseitenprojekt an?
Joschi Kuphal: Das ist eine sehr gute Frage, und ich glaube, da gehen die Meinungen auch so ein bisschen auseinander, je nachdem, wen man fragt und wie das Projekt gelagert ist. Viele Projekte – Oder sagen wir mal: Im Idealfall sollte ein Projekt natürlich sich grundsätzlich am Inhalt, der da zu kommunizieren ist, bemessen. Das heißt, erstmal sollte klar sein: Was wollen wir auf so einer Website überhaupt darstellen? Gibt es da sehr viel Text? Gibt es da Videos? Gibt es vielleicht Audio? Was sind die ganzen Medien? Wer ist die Zielgruppe? Also eigentlich sollte sich das Ganze aus dem Inhalt raus entwickeln in einer idealen Welt. Oft ist es aber natürlich so, dass der Inhalt nicht von Anfang an schon da ist. Meistens wird er parallel während des Projekts erarbeitet, oder er wird dann erst später übernommen, beispielsweise aus einer vorherigen Website und dabei noch mal überarbeitet. Also, dieser Idealfall, dass der Inhalt von Anfang an klar ist und man auch sehr gezielt darauf abstellen kann, der ist eigentlich nur selten gegeben. Könnte sein, dass ein bisschen was da ist, aber meistens ist doch erst mal so eine Konzept- und Designphase am Anfang. Auch in einer idealen Welt würde man sich dann erst mal intensiv Zeit nehmen, um wirklich ein Konzept zu entwickeln für die ganze Website. In der Praxis muss ich leider sagen, das ist oft viel zu kurz, diese Phase, oder es wird auch wenig Energie und vielleicht auch ein gewisses Budget dafür abgestellt, erst mal gründlich nachzudenken. Wir haben aber in Projekten schon gemerkt, dass es sich sehr, sehr lohnt, über solche Dinge intensiv nachzudenken und am besten auch eine Spezifikation zu schreiben. Also Spezifikation bedeutet, es ist nicht nur gesagt oder durchdacht, sondern es ist auch verschriftlicht, bis hin zu einem ausführlichen Dokument, in dem alle möglichen Aspekte Beteiligter aufgeführt sind, so dass man dieses Dokument auch verteilen kann an Auftraggebende, an die Umsetzenden, an die Designer, vielleicht an Leute, die leichte Sprache, die Texte schreiben usw usw. Eine Spezifikation wäre der Idealfall auch in einer idealen Welt. Auch dafür wird nicht immer Zeit und Budget eingeräumt. Dann typischerweise folgt erst mal eine Phase, in der Design gemacht wird oder in der das ganze UX auf die Beine gestellt wird. Da sind dann mehrere Beteiligte dran zugange, meistens eben auf Kundenseite die Verantwortlichen und auf unserer Agentur-Seite vielleicht zwei, drei Personen, Designerinnen, vielleicht ein Product Owner, der die Belange der Kunden weitgehend vertritt. Und so tastet man sich erst mal an eine Gestaltung für das Ganze ran, Und natürlich, wenn es um Barrierefreiheit geht, dann fängt es da spätestens an, dass man Aspekte berücksichtigen muss, die beispielsweise in den Web Content Accessibility Guidelines, WCAG, schon berücksichtigt sind, beispielsweise Farben, Layout, Kontraste, all solche Dinge. Typischerweise wird immer …ja Dennis?
Dennis Bruder: ja genau. Da wollte ich jetzt kurz mal einhaken, weil da sind wir ja jetzt eigentlich schon an einem Punkt, wo einfach auch schon eine ganze Menge Wissen erforderlich ist, also sowohl aus designtechnischer Sicht, aber du hast ja auch gesagt, also am besten wäre es, wenn so was quasi vorher schon spezifiziert ist, also vielleicht auch von den Auftraggebern, also von, ich nehme an, häufig sind es öffentliche Stellen, die du da mit barrierefreien Webseiten betreust, dass die da eben schon ein bisschen wissen, wo informiert man sich überhaupt? Und da hast du ja jetzt gerade schon mal einen Begriff genannt: Die Web Content Accessibility Guidelines. Aber wo würdest du denn sagen, wo kann man sich denn gut als Programmierer, als Designer, aber vielleicht auch sogar als Auftraggeber informieren, wenn es um das Thema digitale Barrierefreiheit bei Webseiten geht? Um mal den Umfang auch zu verstehen. Und vielleicht auch ein bisschen was Konkretes zu haben.
Joschi Kuphal: Also die Frage, wenn ich die wirklich wüsste und dann so eine supergute Antwort drauf hätte, dann würde ich wahrscheinlich - Wahrscheinlich würde ich auch weniger Geld verdienen, aber, glaube ich, dann würde ich das auch sehr, sehr aufdringlich verbreiten. Ich glaube, das ist leider ein unterbelichtetes Thema. Ich fange mal so an: Ich vermisse bisher immer noch, dass Themen der Barrierefreiheit wirklich auch integraler Bestandteil einer Ausbildung für Designer und für Webentwickler sind. Es ist nach wie vor so, dass wenn jemand in der Berufsschule meinetwegen Mediengestalter oder Anwendungsentwickler lernt, dass dort kaum Inhalte über Barrierefreiheit vermittelt werden. Zumindest wüsste ich nichts davon. Genauso auch an Hochschulen, also in standardmäßigen Studiengängen. Und ich bin ja zum Teil als Dozent an solchen Studiengängen beteiligt. Auch dort ist es nicht üblich, dass da drüber wirklich intensiv vermittelt wird. Also, das wäre ein sehr wünschenswerter Aspekt, dass in der Ausbildung das Thema viel breiter noch mit einfließt. Es gibt natürlich Spezialangebote, zum Beispiel die Hochschule der Medien in Stuttgart hat dort extra Studiengänge oder Kurse zu solchen Themen und sicherlich auch an anderen Hochschulen. Aber das ist nicht so verbreitet, wie man sich es wünschen würde. Da sind andere Themen, die wahrscheinlich weit weniger wichtig sind im globalen Sinn, werden deutlich breiter behandelt. Also, so eine richtige, fundierte Basis kriegt niemand mit auf dem Weg zur Ausbildung. Also muss man sich durchaus selbst informieren. Das ist im Übrigen auch das Bild, dass die Spezialistinnen- und Spezialistenszene in Deutschland abgibt. Das sind in der Regel alles Expertinnen und Experten, die seit langer Zeit in dem Bereich Webentwicklung arbeiten und sich das meiste Wissen da auch autodidaktisch angeeignet haben und eben aus vielen verschiedenen Quellen sich da beziehen. So, jetzt die Frage, wo ich mich als Entwicklerin oder Entwickler auch wirklich bilden kann, ist nicht so einfach zu beantworten. Es gibt durchaus die eine oder andere größere Vereinigung, beispielsweise die IAAP. Die Internationale Vereinigung der Accessibility-Spezialisten ist ein Verbund, der sich in den letzten Jahren ganz gut etabliert hat, aber halt hauptsächlich im englischsprachigen Raum im Sattel sitzt. Jetzt haben wir seit zwei Jahren ein deutschsprachiges Chapter dieser Vereinigung, und die bieten im Großen und Ganzen ganz gute Unterrichts- und Lernmaterialien an, wenn man das möchte, oder geben auch Zugang, Zugriff auf - weiß ich nicht - Webinare und alle möglichen Kursunterlagen. Man kann sich dort auch als Person zertifizieren lassen, und das ist zum Beispiel ein ganz guter Einstieg. Dann gibt es eine Reihe von größeren Agenturen, beispielsweise in USA, DQ oder Level Access, die eine ganze University mehr oder weniger aus Lernmaterialien hat, aber im ersten, im ersten Schritt alles englischsprachig. Im deutschsprachigen Raum sind es eher vereinzelte Angebote. Da weiß ich gar nicht, was ich hervorheben könnte, wenn ich, wenn ich was hervorheben wollte. Aber man wird sich diese Information doch zusammensammeln können. Und leider wird es wahrscheinlich auch größtenteils für Auftraggebende die Situation sein. Auch da ist es nicht einfach, sich fundiert zu informieren. Ich persönlich beklage vor allem auch etwas die Situation, dass wir in dem Markt nach wie vor viel zu wenige wirklich gute Expertinnen und Experten haben. Wir haben jetzt durch die gesetzlichen Verschiebungen in den letzten Jahren immer mehr Bedarf an dem Thema, und es strömen leider auch Anbieter auf den Markt, die nicht wirklich viel Ahnung haben, aber dafür sich sehr gut verkaufen können. Das ist nicht unbedingt immer die Stärke derer, die dann tatsächlich Experte sind und diesen Markt auch so ein bisschen überrollen. Und es ist wirklich schwer - schwierig, da die Auftraggebenden entsprechend zu informieren. Das funktioniert eigentlich nur über viel Aufklärung, viel präsent sein, Vorträge geben, das wirklich an diese Personen herantragen, weil ich glaube, dass da wenig Initiative bisher aufseiten der Auftraggebenden da ist, wenn es nicht gerade öffentliche Hand ist, die natürlich gesetzlich dazu verpflichtet ist und es auch immer weiter durchdringt, immer noch nicht überall durchgedrungen ist, muss man auch dazu sagen. Aber dort ist vielleicht das Bewusstsein allmählich da, dass Barrierefreiheit ein Thema ist, mit dem man sich beschäftigen muss. Aber in den allermeisten Fällen scheitert es eigentlich da dran, dass keine Wahrnehmung von Barrierefreiheit als notwendigem Thema da ist. Und wo keine Wahrnehmung da ist, da ist natürlich auch kein Handlungswille da. Also, es ist tatsächlich ein Bereich, der noch sehr viel besser laufen könnte. Die Information könnte deutlich präsenter sein, als sie es im Augenblick ist.
Dennis Bruder: Da hast du jetzt schon einige Sachen genannt, die natürlich auch ein Riesenproblem sind. Also, so wie ich das auch verstehe, musst du ja auch wahrscheinlich eine ganze Menge Beratungsarbeit erst mal leisten. Und Aufklärungsarbeit, auch selbst wenn es öffentliche Stellen sind, weil, natürlich, die Gesetze gibt es, die gesetzlichen Vorgaben gibt es, aber in die Tiefe kennen sich - also meiner Erfahrung nach - auch öffentliche Stellen dann gar nicht so gut aus. Also, da muss man dann häufig doch relativ früh beginnen. Also, auf eine Gefahr hast du auch noch hingewiesen, die ich auch ganz wichtig finde, ist, glaube ich, dass da jetzt gerade viele Anbieter auch auf den Markt strömen, die das natürlich auch gemerkt haben, dass es ein Business Case ist und die aber halt - ja eigentlich Barrierefreiheit behaupten und sie gar nicht können. Da sollte man dann sicherlich auch vorsichtig sein, auch in den Ausschreibungen auch nochmal genau hinschauen, ob man sich wirklich eine Agentur oder einen Programmierer quasi einen Auftrag gegeben hat, der das Thema oder die das Thema auch wirklich beherrscht. Ähm, was würdest du denn sagen, wenn man jetzt so ein Thema rausgibt, auch in die Programmierung? Wie viel größer oder wie groß ist denn so ein Aufwand einer wirklich barrierefreien Webseite, sagen wir mal für ein, für eine öffentliche Stelle?
Joschi Kuphal: Also, was das Thema angeht, habe ich vielleicht eine etwas unpopuläre Meinung oder vielleicht auch gar nicht so unpopulär. Ich bin nämlich der Meinung, dass eine barrierefreie Webseite fast keinen Mehraufwand bedeutet im Vergleich zu einer anderen, nicht barrierefreien, trotzdem gut gemachten Website. Es gibt meiner Meinung nach nur sehr wenige Bereiche, die wirklich zusätzlich Zeit und Aufwand und dementsprechend auch Budget brauchen. Das ist speziell in dem Bereich Medien-Alternativen. Das heißt, wenn ich zum Beispiel zu einem Video Untertitel produzieren muss oder wenn ich ein Gebärdensprachvideo drehen muss. Oder wenn ich Transkriptionen von - weiß ich nicht - Podcasts beispielsweise machen muss. Das sind natürlich extra Schritte, die man gehen muss. Die kosten Zeit und Arbeit. Da ist auch Expertenwissen notwendig dafür, und entsprechend schlagen die auch beim Budget zu. In den meisten anderen Bereichen aber sehe ich eigentlich überhaupt keinen Mehraufwand, vorausgesetzt, ich arbeite fundiert und handwerklich gut. Für meine Verhältnisse sind die Entscheidungen eigentlich die wichtigen Punkte. Ich mache immer das Beispiel, dass ich sage, wenn ich mir zwei Farben raussuch‘, die zueinander miserabel kontrastieren, dann kostet mich das exakt genauso viel Zeit wie zwei Farben rauszusuchen, die einen guten Kontrast zueinander haben. Es ist also keine Frage des Aufwands, sondern es ist eine Frage des Bewusstseins erst mal, sonst kann ich solche Entscheidungen gar nicht richtig treffen, und dann des Wollens. Ich muss wissen, dass ich es tun kann, und ich muss es wollen, ich muss handwerklich sauber und fachlich gut arbeiten, dann kommen dabei barrierefreie Ergebnisse raus. Und insofern - Ich denke, das kann man ausbreiten auf 90 % aller Handgriffe, die bei so einer Webseite zu tun sind: Einfach nur die richtigen Entscheidungen treffen, Barrieren gar nicht erst entstehen lassen. Das ist ja auch so ein Klischee, gegen das wir die ganze Zeit ein bisschen anarbeiten müssten. Barrieren sind nicht da, und wir müssen sie abbauen, sondern wir bauen die Barrieren auf, wenn wir nicht aufpassen. Wir müssen verhindern, dass wir Barrieren aufbauen. Dazu gehört eben, wie gesagt, das handwerkliche Wissen, und dann fallen die Entscheidungen auch richtig. Und am Ende glaube ich, wenn man sich es genau überlegt, kann es sogar sein, dass eine barrierefreie Website letztlich sogar kostengünstiger ist, nämlich weil ich sogar noch mehr Baustellen damit bediene. Ich denke jetzt mal an das Thema Suchmaschinenoptimierung, die ja in einem großen Bereich zusammenfällt mit den Bemühungen, die man in der Barrierefreiheit unternimmt. Da hat man einen wunderbaren, mehrfachen Nutzen. Und wenn man einmal die Sache gescheit gemacht hat, dann kommt dabei eine technisch hervorragende Webseite raus, die ein viel größeres Zielpublikum erreicht. Also, der Wirkungsgrad ist da möglicherweise auch viel höher, und auch das sollte man in so eine Effizienzbetrachtung mit einrechnen. Also zusammenfassend, ich würde sagen, eine barrierefreie Website muss nicht zwingend mehr Aufwand bedeuten, es sei denn, man hat eben Medien, die man zum Beispiel noch umsetzen muss. Oder man geht diese extra-Meile. Was sich dann aber übrigens auch gleich wieder in eine größere Zielgruppe übersetzen lässt. Und insofern ich - Das ist für mich ist das ein Vorurteil oder ein Klischee, dass barrierefreie Websites automatisch immer eingeschränkt, hässlich und irgendwie nicht sexy sind. Das lässt sich meiner Meinung nach alles sehr leicht widerlegen.
Dennis Bruder: Eine Sache habe ich vergessen. Und zwar wollte ich dich fragen, ob du zum Beispiel auch auf so ein Handwerkszeug wie den BIK BITV Test in der Beratung auch hinweist. Weil auf den weisen wir dann doch relativ oft hin, weil wir eben auch kein anderes Instrument wissen, das besser geeignet ist. Weist du darauf hin, oder nutzt du so ein Tool gar nicht?
Joschi Kuphal: Die Frage ist deswegen spannend bzw gar nicht mal so überraschend: Wir sind ja Prüfstelle des BIK BITV Tests, das heißt ich bin da qualifizierter Prüfer. Ich kann diesen Test durchführen, und tatsächlich ist es so, dass ganz viele Anfragen oder Aufträge bei uns über diesen Test zustande kommen. Also, Leute kommen zu uns, weil wir diesen Test durchführen. Ich bin da sehr aktiv im Verbund, bin da intensiv eingebunden, und entsprechend wichtig ist auch dieses Werkzeug. In unserer alltäglichen Praxis ist es so, dass ich mich auch geistig kaum davon entfernen kann, einfach weil ich so intensiv da auch mit eingebunden bin. Ich mache natürlich auch Prüfungen oder Audits in einem kleineren Rahmen. So ein BIK BITV Test ist doch vom Aufwand und vom Umfang her nicht ganz klein. Ich würde jetzt auch sagen, es gibt Projekte, die gewinnen auch schon stark an Qualität, wenn man nicht so einen voll ausgefahrenen Test durchführt. Aber dafür gibt es ja beispielsweise auch, wenn jemand das selber machen möchte, die Selbstbewertung, die man anhand von diesem Test durchführen kann. Das Prüfverfahren ist ja öffentlich, insofern kann man das für den nicht kommerziellen Gebrauch grundsätzlich einsetzen. In unserer Praxis, wie gesagt, spielt es deswegen eine große Rolle, allein schon, weil wir eben Prüfstelle sind und ganz viele Aufträge nur da drüber zustande kommen. Also ja. Und natürlich finde ich auch den BIK BITV Test in dieser, in dieser Umfassung – nee, wie sagt man? Also, in dem umfassenden Maß und in dem Tiefgang, der da drinsteckt, und auch, dass sämtliche WCAG- und EN-Kriterien dort geprüft werden. Das ist natürlich das ultimative Werkzeug, mit dem man arbeiten kann. Also für uns eigentlich nicht wegzudenken. Aber ist ja auch logischerweise eines unserer Standbeine.
Dennis Bruder: Ja, dann wirst du dich vielleicht mit der nächsten Frage auch ein bisschen schwertun, wenn du da so tief drinsteckt und immer quasi auch in deine Projekte die ganze Umsetzung der öffentlichen Normen und Richtlinien mit eindenkst, aber vielleicht also, manchmal hören wir dann so die Frage: „Ja, ich will jetzt als Privater vielleicht jetzt gar keine Webseite komplett barrierefrei machen nach gesetzlichen Standards, sondern ich will sie einfach barrierearm gestalten.“ Was würdest du jetzt vielleicht aus so einer leicht abstrahierten Sicht als Programmierer sagen? Gibt es vielleicht ein paar einfache Sachen oder ein paar Sachen, die mit weniger Aufwand verbunden sind, die man in einem Web-Entwicklungsprojekt umsetzen kann, um zumindest mal ein paar grundlegende Hürden rauszunehmen?
Joschi Kuphal: Na ja, die gibt es sicherlich, klar. Und es ist immer ein bisschen eine Frage des konkreten Angebots. Es ist auch eine Frage des Aufwands, den man da betreiben kann, aber man kann natürlich die ganz zentralen, checklistenartigen Punkte schon mal rausziehen. Ich finde, man muss so Checklisten mit Skepsis sehen. Da bleibt immer irgendwas auf der Strecke, und es gibt keine One-Size-fits-all-Lösung. So kriegt man Barrierefreiheit nicht her, was im Übrigen auch das größte Problem mit den sogenannten Accessibility-Overlays ist. Da wollen wir aber wahrscheinlich gar nicht drüber reden. Also: Ja, klar, es gibt ein paar so super grundlegende Dinge. Ich meine mal zum Beispiel Tastatur-Bedienbarkeit ist so ein Ding. Wenn ich das auf die Reihe gekriegt habe bei meiner Website, dann habe ich schon viel richtig gemacht. Oder das ganze Wahrnehmungsthema mit Farben, Kontrasten, Schriftgestaltung. Das sind so grundlegende Sachen. Ich finde, die sind zumutbar, und die sind auch in jedem Projekt ohnehin irgendwie behandelt, dann kann ich sie auch gleich richtig machen. Also, es gibt schon so einige Dinge, die man tun kann. Es gibt auch fortgeschrittenere Bereiche, wie so was zum Beispiel mal mit einem Screenreader durchtesten, also einem Vorlese-Software. Das ist schon ein bisschen fortgeschritten, und da muss man sich etwas reinarbeiten. Aber ein paar Sachen - Mir fallen jetzt in erster Linie so was wie Tastatur-Bedienbarkeit, Farben-Kontraste, Verständlichkeit, gute Struktur in so einer Website, das heißt mit Überschriften, mit einem sauberen Layout arbeiten. Solche Sachen, die kann man auf jeden Fall berücksichtigen, auch ohne totaler Profi zu sein und ohne unglaublich viel Geld in die Hand zu nehmen.
Dennis Bruder: Jetzt sind wir zeitlich eigentlich schon ungefähr da, wo ich landen wollte. Zum Abschluss will ich dir jetzt fast noch mal so eine provokante Frage stellen: Denkst du dir nicht auch manchmal, es wäre vielleicht dann doch einfacher ohne diesen ganzen digitalen Barrierefreiheits-Wahnsinn? Und wünschst du dir manchmal vielleicht auch ein bisschen mehr Freiheiten in der Programmierung? Oder bist du jetzt schon voll im Thema drin und denkst gar nicht mehr anders?
Joshi Kuphal: Ich finde die Frage deswegen absurd, weil ich nicht wüsste, von welcher Freiheit du da sprichst. Die größte Freiheit für mich ist doch, dass ich Zugang zu allem habe. Dass ich ohne irgendein Hindernis auf alles Mögliche zugreifen kann. Und diese Freiheit, von der du da gerade sprichst, das kann ja nur bedeuten, dass ich mehr oder weniger sehenden Auges Leute auf der Strecke lasse. Da frage ich mich, was an dieser Freiheit attraktiv sein soll. Also, das ist zumindest eine Freiheit, die mich persönlich nicht interessiert. Und natürlich war die Frage provokant. Ich muss aber auf der anderen Seite auch sagen: Tatsächlich glaube ich, dass die Techniken und die Handgriffe, die wir mit Barrierefreiheit, oder die wir für Barrierefreiheit brauchen, die sind so basal, dass wir eigentlich - bei allem, auch bei einer völlig durchgeknallten Gestaltung oder irgendwas -brauchen wir diese Handgriffe als Grundlage. Für mich ist Barrierefreiheit so ein essenzielles Qualitätskriterium, dass ich das eigentlich nicht aus Projekten rauslassen kann. Da kommt bei mir, für mich kommt für meinen Geschmack einfach kein sauberes Ergebnis zustande, und dann verzichte ich lieber auf anderen Schnickschnack, der mich wahrscheinlich sogar noch viel mehr Zeit und Arbeit kostet, als mich mit diesen Grundlagen zu beschäftigen und da lieber alles ins Reine zu bringen. Also, persönlich kann ich mir nicht vorstellen, welchen Gewinn ich hätte, das Thema Barrierefreiheit auszublenden. Unabhängig davon, dass ich jetzt mit dem, was ich tue, seit 20 Jahren tatsächlich die Fähigkeit verloren habe, das auszublenden. Und ich weiß nicht, ob das die Antwort ist, die du hören wolltest, aber: Nein, also, für mich ist das keine Option.
Dennis Bruder: Ja, das ist eigentlich genau die Antwort, die ich hören wollte. Danke auf jeden Fall für dieses Plädoyer auch noch mal für digitale Barrierefreiheit. Ich glaube, das ist auf jeden Fall bei unseren Hörerinnen und Hörern angekommen. Dann war es das jetzt tatsächlich auch schon mit der Folge, ja? Und ich bedanke mich bei dir.
Joschi Kuphal: Danke, dass ich dabei sein durfte. Ich hoffe, wir konnten die eine oder andere Person, die sich dafür interessiert, doch noch ein Stückchen dahin schieben, Barrierefreiheit wirklich überall mit einzubauen. Danke, Dennis.
Dennis Bruder (Outro mit Musikuntermalung): Zum Abschluss dieser Episode will ich noch mal die Gelegenheit nutzen und einen Hinweis auf unser Beratungsangebot geben. Wir bieten nämlich von der Beratungsstelle Barrierefreiheit für alle Menschen in Bayern die Möglichkeit, sich direkt bei uns über das Thema digitale Barrierefreiheit im Zuge einer Erstberatung zu informieren. Dort können wir dann eure Projekte ganz konkret anschauen und Fragen beantworten: oder euch auch ganz allgemein über das Thema Barrierefreiheit informieren. Wenn euch die Folge gefallen hat, lasst uns eine Bewertung da und folgt unserem Kanal. Es gibt auch noch einen Newsletter zum Thema digitale Barrierefreiheit, den ihr auf der Webseite der Bayerischen Architektenkammer und der Pfennigparade finden könnt. Alle Links zur Episode findet ihr in den Shownotes. Dann bis zur nächsten Folge von „Barriere Los!“
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