16.09.2022

Unsere Top 5 Tools für Menschen mit Körperbehinderung, um am Computer arbeiten zu können.

Digitale Barrierefreiheit

Profilansichten von drei Personen, die jeweils rechts rechts in ihren PC schauen. Zwei von ihnen sitzt im Rollstuhl.

Foto: Stiftung Pfennigparade

Jede Behinderung ist anders und erfordert andere Hilfsmittel. Die Bandbreite an Tools für Menschen mit Körperbehinderung ist daher groß. Trotzdem sind manche Tools für eine Vielzahl von Behinderungsbildern nützlich.

Der Artikel ist ein Blitzlicht über den Stand der Hilfsmittel für den Computer, die Menschen mit einer Körperbehinderung oder Bewegungseinschränkung unterstützen können. Wir erheben keinen Anspruch auf eine vollständige Darstellung aller Hilfsmittel. Der Text ist als eine Art Empfehlung zu sehen, welche Tools wir in den Werkstattgruppen des Medienservice im Einsatz- und welche sich bewährt haben.

Sprachprogramm

In den letzten Jahren hat sich die Intelligenz von Sprachprogrammen massiv verbessert. Individuelle Stimmprofile gibt es schon länger, durch künstliche Intelligenz entwickeln sich die Programme aber nun rasend weiter – und zwar nicht nur im Computer. Ein modernes Smartphone hat schon jetzt eine Spracherkennung, die um Längen besser ist als eine spezialisierte Sprachsoftware von vor 5 Jahren. Dieser breite Einsatz von Spracherkennung ist für die meisten Menschen sehr komfortabel, für Menschen mit einer Körperbehinderung ist er jedoch entscheidend, um an moderner Kommunikation teilhaben zu können.

Der bisherige Marktführer Dragon setzt immer noch die Benchmark, wenn es um die Bedienung am Computer geht. Die Spezialsoftware gibt es in verschiedenen Versionen, die über die letzten Jahre stetig verbessert wurden. Leider wurde die Entwicklung für den Mac eingestellt, nachdem Apple selbst eine Spracherkennung ins Betriebssystem integriert hat (die allerdings bis heute nicht auf jedem Mac zuverlässig läuft).
Das Programm ist sowohl für Menschen geeignet, die trotz Körperbehinderung eine Maus benutzen können, wie für Menschen, die den Computer nur über Sprache bedienen. Lediglich bei einer undeutlichen Aussprache, ist die Software nur bedingt einsatzfähig. Je nach Version variiert auch der Preis. Der private Einstieg ist erschwinglich. Für Unternehmen gibt es erweiterte Funktionalitäten, die entsprechend teuer sind.

Für den Einsatz und die Performance eines Sprachprogrammes ist auch die Hardware von entscheidender Bedeutung. Man benötigt ein gutes Mikrofon bzw. Headset und auch der Rechner muss leistungsfähig sein, um die aufwändige Verarbeitungstechnik zu stemmen. Je mehr Power, desto besser.

Generell kann sich der Kauf bzw. die Verwendung einer Spezialsoftware zur Spracheingabe für ein Unternehmen sogar positiv für alle Mitarbeiter auswirken. Es kann nämlich jederzeit passieren, dass ein Mitarbeiter eine vorübergehende Bewegungseinschränkung erfährt – beispielsweise durch einen Unfall. Und auch völlig ohne Einschränkung oder Behinderung lässt sich ein solches Programm produktiv nutzen benutzen. Meine Prognose ist sogar, dass in absehbarer Zeit Sprachsoftware schneller und effizienter als die Eingabe über eine Tastatur sein wird.

Spezialmaus

Jede Behinderung ist anders und viele Bedienhilfen individuell. Gerade bei Spezialmäusen ist die Bandbreite riesig.

Häufig sind es auch die einfachen Wege, die gute Lösungen für Menschen mit körperlichen Behinderungen bieten. So genannte Gaming-Mäuse sind perfekt geeignet für Menschen, die ihre Hand sehr eingeschränkt bewegen können. Sie bieten eine sehr feinfühlige und schnelle Übersetzung der Mausbewegung auf den Computer. Minimale Bewegungen reichen also aus.
Gaming-Mäuse sind Hilfsmittel, die kostengünstig und auf dem freien Markt erhältlich sind. Dennoch sind sie gewisse für Behinderungsbilder wie beispielsweise Muskeldystrophie (Duchenne) optimal einsetzbar. Wir haben beispielsweise Mäuse von Logitech oder die Corsair M65 ELITE im Einsatz.

Für Menschen, die an allen Extremitäten bewegungsunfähig sind, gibt es verschiedene Möglichkeiten, eine Maus mit dem Kopf zu bedienen. Die Bandbreite geht hier von der Bedienung mit einer Augensteuerung bis hin zu Mausbedienungen, die komplett über Kopfbewegung funktionieren.

Auf dem Gebiet der Kopfbewegung gibt es inzwischen verschiedene Anbieter, die äußerst effiziente Lösungen anbieten. Die sogenannte gyroskopische Steuerung ist eine sehr effiziente Mausbedienung, die in Sachen Geschwindigkeit an die normale Bedienung per Hand heranreicht. Über einen Lagesensor, wie man ihn vom Handy kennt, erkennt die am Kopf angebrachte Einheit, in welche Richtung man den Kopf dreht und bewegt. Der Klick wird wiederum wird durch eine Zusatzgeste ausgelöst. Je nach Anbieter kann das entweder Pusten in ein Röhrchen oder auf eine Sensorfläche- oder das aufblasen einer Wange sein.

Einer der ersten auf dem Markt war die finnische Firma Quha, die eine sehr schnelle Bedienung der Computermaus entwickelt hat. Das System wird über einen USB Stick am Computer mit einer Einheit auf dem Kopf verbunden. Aber auch Anbieter wie Nowtech mit dem Gyroset sowie das Münchner Unternehmen Munevo mit ihrem auf der Google Glass basierten System, bieten eine gyroskopische Steuerung des Computers. Das Besondere an beiden Systemen ist, dass man über das gleiche Gerät den Rollstuhl steuern kann und somit flüssig zwischen physischer Bewegung im Raum und Computer wechseln kann.

Entscheidend für die Bedienung der Gyroskopischen Steuerungen ist allerdings eine gute Kopfkontrolle. In naher Zukunft könnten Computer aber auch über Gedanken steuerbar sein, wie der Ansatz von Nextmind eindrucksvoll demonstriert.
Die Ansätze der Gedankenkontrolle könnten für Menschen mit Behinderung ein regelrechter Gamechanger sein. Alle körperlichen Hürden würden abgebaut und sowohl die Bedienung des Computers als auch die Kontrolle über Umfeld-Schnittstellen wären für wirklich Jede*n möglich – egal wie stark die körperliche Einschränkung ist.

Bildschirmtastatur

Geht es um Schrifteingabe ist die Bildschirmtastatur für Menschen mit Körperbehinderungen ein unverzichtbares Mittel. Gerade bei kurzen Eingaben von Buchstaben oder bei Korrekturen eignen sich Bildschirmtastaturen besser als eine Sprachbedienung, die stets beträchtliche Ressourcen vom Computer verlangt und die Eingabe verlangsamt.

Generell spiegelt eine Bildschirmtastatur alle Tasten einer normalen Tastatur auf dem Bildschirm – sie dient als Ersatz für die physische Tastatur. Integrierte Bildschirmtastaturen bei Windows bieten aber zusätzlich Unterstützungen für Funktionen wie den Rechtsklick für die Maus (falls dieser nicht über die Spezialmaus möglich ist). Inzwischen bieten viele Bildschirmtastaturen auch eine Wortvorhersage, die sich dem eigenen Sprachprofil anpasst. Das beschleunigt die Eingabe von Wörtern ungemein.

Will man eine Alternative zur normalen Wortvorhersage der Bildschirmtastatur, bietet das Programm Dasher die Möglichkeit, über kleine und schnelle Bewegungen Worte automatisch zu vervollständigen. Das Programm ist nicht schick, aber äußerst effizient.

Eine weitere fantastische Lösung hat Apple mit der integrierten Bildschirmtastatur im Gepäck. Diese ist vollkommen frei anpassbar und lässt sich über ein Panel individualisieren. Alle möglichen Befehle sind programmierbar. Beispielsweise kann man sich ein Baukastensystem an Sätzen basteln (wie einen E-Mail Abbinder), den man über einen Mausklick auf der Tastatur erreichen kann. Auch Tastenkombinationen lassen sich programmieren. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Natürlich gibt es auch kostenpflichtige Anbieter wie beispielsweise OnScreenKeys, die über die Funktionalitäten der normalen Bildschirmtastatur hinausgehen und ebenso Arbeitsschritte und Befehle erleichtert. Allerdings muss man hier abwägen, ob man das Geld in die Hand nehmen will.

Telefon Software (Soft Phone)

Bei der Teilhabe am Arbeitsleben ist es von entscheidender Bedeutung, in alle Kommunikationsprozesse integriert zu sein. Einer der Hauptwege der Kommunikation ist nach wie vor das Telefon. Für Menschen mit Körperbehinderungen ist es aber schwierig oder sogar unmöglich, ein normales Telefon zu bedienen. Genau hier kommt eine Telefon-Software ins Spiel.

Programme wie Skype bieten bereits (kostenpflichtige) Möglichkeiten, extern zu telefonieren. Auch die FRITZ!Box liefert Lösungen, das Festnetztelefon vom Computer oder Smartphone aus zu bedienen.
Im Umfeld von Unternehmen muss Software aber auch mit der hauseigenen IT kompatibel sein. Hierfür gibt es professionelle Anbieter, wie beispielsweise die Spezialsoftware OpenScape, die die Funktionalität eines normalen Telefons vollständig ersetzen kann.

Genauso wie bei der Spracherkennung ist ein passendes Headset von Vorteil. Das Plantronics Voyager liefert beispielsweise sowohl eine gute Ton Ein- als auch Tonausgabe sowie eine gute Unterdrückung anderer Geräusche im Raum. Wir haben es sogar für einen Podcast verwendet, wenn auch professionelle Mikrofone noch bessere Ergebnisse erzielen würden.

Software um Handys zu spiegeln

Die Bedienung eines Handys kann für verschiedene Arbeitsplätze und Einsatzgebiete immer wieder nützlich sein. Je nach Körperbehinderung und Bedienhilfen kann es aber zum Problem werden, schnell zwischen der Bedienung am Computer und dem Smartphone zu wechseln.

Es bietet sich also an, das Handy direkt über den Computer zu bedienen. Am besten funktioniert das mit dem Programm Vysor und einem Android Smartphone. Man installiert das Programm auf dem Smartphone und dem Computer und verbindet beide Geräte mit einem USB Kabel. Von nun an kann man das Handy auf den Bildschirm spiegeln und über die Maus vom Computer aus bedienen. Die Maus ersetzt dabei die Fingergeste am Smartphone. Zwar funktioniert das Programm auch mit einem iPhone, aber die Funktionalität ist doch stark eingeschränkt.

Will man lediglich die Bedienung eines Smartphones imitieren, um beispielsweise Apps zu testen, ist es auch über Emulatoren wie Nox oder Bluestacks möglich, eine Android Umgebung auf dem Computer zu simulieren. Hier fehlen aber entscheidende Funktionen wie Telefonieren oder SMS schreiben. Auch ist eine neue Android Version nicht immer garantiert.

Fazit

Durch den Einsatz von Hilfsmitteln können Menschen mit Behinderung produktiv arbeiten. Teilweise sind diese kostenlos und in das Betriebssystem integriert, andere wiederum sind kostenpflichtig und können sehr teuer werden.

Wenn es Arbeitgeber sich nicht leisten (können) diese Aufwendungen zu stemmen, gibt es die Möglichkeit finanzielle Förderungen zu bekommen – beispielsweise über das Integrationsamt oder eine Spende.

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich der Markt an technischen Hilfsmitteln äußerst spannend entwickelt. Große Konzerne haben das Potenzial alternativer Eingabewege erkannt und bauen diese massiv aus. Aber auch viele spezialisierte Anbieter haben die Arbeitsfähigkeit von Menschen mit Behinderung in den letzten Jahren massiv verbessert. Es ist zu erwarten und zu hoffen, dass dies in den nächsten Jahren zu mehr Integration am Arbeitsmarkt führen wird.

Autorin: Stiftung Pfennigparade

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