09.02.2024

Leichte Sprache und gendergerechte Sprache – ein Widerspruch?

Leichte Sprache und Unterstützte Kommunikation

In einer Sprechblase sind verschiedene Formen in verschiedenen Farben enthalten.

Foto: CAB gGmbH

Das Thema „Gendern“ wird seit mehreren Jahren hitzig diskutiert. Die einen sehen gendergerechte Sprache als überflüssig und als Verschandelung der Sprache an, die anderen als notwendige Weiterentwicklung, um die geschlechtliche Vielfalt sichtbar zu machen. Denn gendergerechte Sprache meint nicht nur die Nennung der weiblichen und der männlichen Form, sondern inkludiert beispielsweise auch inter* und nicht-binäre Personen. Immer wieder werden wir bei Fortbildungen und auch in Bezug auf Übersetzungsaufträge gefragt, ob und wie in der Leichten Sprache gendergerechte Sprache genutzt wird oder genutzt werden kann. Auch innerhalb der Leichte-Sprache-Community wird diese Frage seit längerem diskutiert.

Hier ein paar Gedanken dazu aus unserer fachlichen Perspektive.

 

Eine Frage, die uns häufig gestellt wird, ist:

Ist gendergerechte Sprache, bzw. das Konzept von mehr als zwei Geschlechtern nicht zu schwierig für Menschen mit Lernschwierigkeiten?

Leichte Sprache vermittelt schwierige Sachverhalte in einfacher Form und hat das Ziel, Inklusion und Selbstbestimmung zu fördern. Zu Inklusion gehört auch, Menschen mit Lernschwierigkeiten Informationen über Themen zur Verfügung zu stellen, die derzeit in der Gesellschaft diskutiert werden. Denn nur so können sich auch Menschen mit Lernschwierigkeiten an diesen Diskussionen beteiligen, sich eine Meinung bilden und ihre Meinung mitteilen. Von vorn herein zu entscheiden, dass ein Thema für eine bestimmte Personengruppe nicht relevant oder zu schwierig ist, widerspricht dem inklusiven Gedanken im Allgemeinen und dem der Leichten Sprache im Besonderen. Vermutlich wird es in Bezug auf gendergerechte Sprache bei Menschen mit Lernschwierigkeiten ähnlich sein wie bei jeder anderen Personengruppe auch: Manchen ist es wichtig, die geschlechtliche Vielfalt sprachlich abzubilden, andere lehnen dies ab.

Die pauschale Aussage jedoch, dass das Konzept des Genderns zu schwierig für Leichte-Sprache-Nutzende ist, schließt diese Personengruppe aus einer gesellschaftlichen Debatte und Entwicklung aus und geht zudem davon aus, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten im Allgemeinen diesen Sachverhalt nicht verstehen können und auch nicht lernfähig sind.

„Am Anfang war das Gendern gewöhnungsbedürftig und ich dachte mir, was soll ich damit anfangen? Und dann dachte ich mir, ich geb` dem eine Chance. An das Sternchen hab` ich mich gewöhnt und ich find´s spitze. Jetzt schreib ich sogar mit Sternchen, zum Beispiel in Berichten.“ (Prüferin für Leichte Sprache)

Darf nach den Regeln der Leichten Sprache überhaupt gegendert werden?

Das ist eine weitere Frage, die uns immer wieder begegnet, vor allem dann, wenn es um die Verwendung von Sonderzeichen wie dem Stern oder dem Doppelpunkt geht.

In den Regeln des Netzwerks Leichte Sprache e. V. steht zum Thema Sonderzeichen: „Vermeiden Sie Sonder-Zeichen. Wenn Sie ein Sonder-Zeichen benutzen müssen: Dann erklären Sie das Zeichen.“
So könnte es auch mit den Sonderzeichen der gendergerechten Sprache gehandhabt werden. Zu Beginn des Textes könnte eine kurze Erklärung eingefügt werden, was das jeweilige Sonderzeichen bedeutet und warum es im Text genutzt wird. Wird die Erklärung und somit das Sonderzeichen bei der Verständlichkeitsprüfung durch die Zielgruppe verstanden, spricht aus Leichte-Sprache-Sicht nichts gegen die Nutzung des Sonderzeichens.

Neben der Verwendung von Sonderzeichen gibt es auch noch weitere Möglichkeiten, um gendergerecht zu schreiben. Etwa die Verwendung von neutralen Formen wie „Team“ oder „Personal“ oder die Nutzung von Partizipien wie „Mitarbeitende“ oder „Studierende“.

Capito führte 2023 eine Studie mit Menschen mit Lernschwierigkeiten und mit Menschen, die Deutsch lernen durch und kam zu dem Schluss, dass neutrale Begriffe am besten verständlich sind, gefolgt vom Genderstern mit einer vorgeschalteten Erklärung. Partizipformen waren am schlechtesten zu verstehen.

Im Entwurf der DIN SPEC 33429 – Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache steht zum Thema gendergerechte Sprache unter anderem: „Schriftbasierte nichtbinäre Formen („Teilnehmer*innen“ oder „Teilnehmer:innen“) sind in Teilen der Gesellschaft weit verbreitet. Sie können bei den Nutzerinnen und Nutzern Leichter Sprache jedoch nicht als bekannt vorausgesetzt werden und sind daher bei der Verwendung zu erklären“ (Entwurf DIN SPEC, S. 14).

 

Last but not least:

Aber gendergerechte Sprache ist doch nicht barrierefrei, oder? Screenreader für Menschen mit Sehbehinderung können doch die Sonderzeichen nicht erkennen?

Diese Fragen sind nicht so einfach mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten, zudem liegt der Fokus dieses Textes auf der Leichten Sprache. Einen unserer Ansicht nach differenzierten Beitrag zu diesem Thema hat jedoch Heiko Kunert, Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg, veröffentlicht. Heiko Kuhnert fordert beispielsweise, den Druck auf Screenreader- und Sprachausgaben-Entwickelnde zu erhöhen, damit gegenderte Begriffe künftig richtig vorgelesen werden, anstatt aufgrund des fehlerhaften Umgangs dieser Programme mit den jeweiligen Sonderzeichen auf das Gendern zu verzichten.

Zusammenfassend möchten wir feststellen:

Mit diesem Text soll keine Empfehlung für oder gegen gendergerechte Leichte Sprache gegeben werden. Wir möchten lediglich aufzeigen, dass dies ein Thema ist, mit dem sich Übersetzende und Leichte Sprache Nutzende auseinandersetzen. Zudem soll die Notwendigkeit betont werden, auch Menschen mit Lernschwierigkeiten in diese wie auch in andere gesellschaftliche Diskussionen und Entwicklungen einzubeziehen. Sprache verändert sich zudem laufend und stellt für uns alle einen Lernprozess dar. Sowohl die gendergerechte Sprache als auch die Leichte Sprache setzen sich für Inklusion ein und diese beiden Konzepte müssen sich nicht zwangsläufig widersprechen oder feindlich gegenüberstehen. 

„Ich finde, alle sollten das mal ausprobieren, es schadet nicht und es bereichernd, weil man lernt mehr dazu. Mit dem Sternchen ist jeder Mensch gemeint und alle können sich zugehörig fühlen. Und es ist kürzer zu schreiben.“ (Prüferin für Leichte Sprache)

 

Autorin: CAB Caritas Augsburg Betriebsträger gGmbH

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