Barrierefreier Tourismus als Sinnbild für eine inklusive Gesellschaft
Planen und Bauen
Ein Baumwipfelpfad, den Blinde alleine gehen können. Ein rollstuhlgerechter Rundweg auf über 2.000 m Höhe im Hochgebirge. Eine DAV-Berghütte mit Aufzug. Ein Hotel mit über 50% Personal mit Handicap. Ein barrierefreier Nationalpark. Sind diese aufwendigen Maßnahmen notwendig? Klare Antwort: Ja! Da sind sich alle Referenten und Teilnehmer der 20. Regionalkonferenz „Inklusiv gestalten – Barrierefreier Tourismus“ einig.
„Barrieres Bauen macht keinen Sinn mehr!“, so eröffnet Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, die Konferenz mit einer gekonnten Wortschöpfung. Allein schon durch den kreativen Umgang mit Sprache macht er damit barrierefreies Bauen zum neuen Normalfall. Denn:
„Barrierefreiheit ist keine Mode, sondern ein Menschenrecht! Barrierefreiheit gehört zu unserer Demokratie. Und: Demokratie braucht Inklusion! Barrierefreiheit hat immer eine tiefe soziale Dimension und setzt positive neue Qualitätsstandards für die Architektur und für unser Land.“
Damit das in der UN-Behindertenrechtskonvention beschlossene Recht auf Teilhabe kein leeres Versprechen auf dem Papier bleibt, sondern von allen Betroffenen tatsächlich gelebt werden kann, setzt Dusel auf die gesetzliche Verpflichtung. „Barrierefreiheit ist ein Qualitätsstandard für moderne Architektur, Infrastruktur, Digitalisierung und Verkehr. Wer heute noch mit Barrieren baut, macht etwas falsch. Die alten Verfahren machen keinen Sinn mehr.“
Rund hundert Architektinnen und Architekten, Stadt- und Landschaftsplanerinnen und -planer sowie Personen aus der Hotel- und Tourismusbranche trafen sich am 15. April im Haus der Architektur der Bayerischen Architektenkammer zur 20. Regionalkonferenz „Inklusion gestalten“. Bereits 2016 fand dort die Auftaktveranstaltung der Konferenzreihe statt, die seitdem sehr erfolgreich durch die Bundesländer tourte. Seither ist viel geschehen. Prof. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, freut sich über viele gelungene Hotel-, Freizeit- und Tourismus-Leuchtturmprojekte in Bayern. Diese Orte tragen dazu bei, dass Menschen sich austauschen, gemeinsam Neues erleben und wertvolle Zeit verbringen können. Sie erwähnt in diesem Zusammenhang auch das 40-jährige Jubiläum der Beratungsstelle Barrierefreiheit der ByAK, die ein wichtiger Impulsgeber sei, um Vorzeigeprojekte zu fördern und den Projektinitiatoren Mut zu machen. Gleichzeitig mahnt sie:
„Wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Barrierefreiheit ist keine einmalige Aufgabe, sondern sollte uns als langfristige Verpflichtung begleiten.“
Ulrike Scharf, Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, versteht Barrierefreiheit als „Visitenkarte Bayerns“. Für sie ist die Förderung des Tourismus ein wichtiger Eckpfeiler für die Entwicklung Bayerns – von barrierefreien Mobilitätsangeboten bis hin zur rollstuhlgerechten Erschließung hochalpinen Geländes. Sie sieht in den politisch hochgesteckten Zielen der Bayerischen Staatsregierung unabhängig davon, ob diese bisher erreicht werden konnten oder nicht, ein wichtiges Mittel zur Motivation und Bewusstseinsbildung. Insgesamt standen für das Programm „Bayern barrierefrei“ in den Jahren 2015 bis 2023 Mittel in Höhe von über einer Milliarde Euro zur Verfügung. Das Webportal erlebe.bayern/urlaub-fuer-alle bündelt über 620 dieser auf Barrierefreiheit geprüften touristischen Urlaubs-, Ausflugs- und Freizeitangebote mit dem Prädikat „Reisen für Alle“.
Neben Jürgen Dusel, Prof. Lydia Haack und Ulrike Scharf diskutierten Holger Kiesel – Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, Dr. Jörg Heiler – Architekt, Stadtplaner und Vorstandskooperator der Beratungsstelle Barrierefreiheit, und Martin Müller – Vizepräsident der BAK. Wie facettenreich Barrierefreiheit ist, machten Monica Tetzner von der Bayern Tourismus Marketing GmbH und Klaus King, 1. Bürgermeister Markt Oberstdorf, in ihren Keynotes deutlich. Monica Tetzner zeigte auf, mit welchen Mitteln die Vernetzung der Barrierefrei-Akteure der 36 Tourismusregionen in Bayern gelingt; Klaus King erläuterte, welche vielfältigen Einzelmaßnahmen notwendig sind, um einen ganzen Tourismusort nach und nach barrierefrei um- und weiterzubauen. Mit dem Museum Haus der Berge in Berchtesgaden, der Alpenhütte Dortmunder Hütte in Tirol, dem Baumwipfelpfad im Bayerischen Wald und dem Hotel einsmehr in Augsburg wurden zudem eindrucksvolle Best-Practice-Projekte in den Fokus gerückt.
Eigentlich sollte das Format mit der 20. Ausgabe einen würdigen Abschluss finden. Doch stattdessen geht es weiter! Denn, so Holger Kiesel:
„Barrierefreiheit ist so vielfältig wie die 13 Millionen Menschen mit einer Beeinträchtigung in Deutschland (…). Barrierefreiheit ist die Voraussetzung für eine offene Gesellschaft, in der keiner mehr wert ist als der andere. Daran zu arbeiten, sollte uns antreiben.“
Oder wie es Katrin Müller-Hohenstein, die die Regionalkonferenzen bereits seit der ersten Veranstaltung im Jahr 2016 moderiert, ganz pragmatisch formulierte:
„Weil es wichtig ist!“
Autorin: Bettina Sigmund
Weitere Links:
Regionalkonferenzen "Inklusiv gestalten - Ideen und gute Beispiele aus Architektur und Stadtplanung" - Bundesarchitektenkammer
https://bak.de/politik-und-praxis/inklusion/regionalkonferenzen-inklusion/
Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen
https://www.behindertenbeauftragter.de/DE/AS/startseite/startseite-node.html
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