01.11.2020

11/2020 "Bauen im Bestand: Potenziale"

Klimaschutz

Beispielhafte Bauten 2019, Sanierung Denkmal "Bauer in der Au", Rosenheim – Kammerl & Kollegen Architekten, Foto: Julia Hildebrand & Ingolf Hatz

Beispielhafte Bauten 2019, Sanierung Denkmal "Bauer in der Au", Rosenheim – Kammerl & Kollegen Architekten, Foto: Julia Hildebrand & Ingolf Hatz

"Es ist eine Frage der nachhaltigen Vernunft, den Vorsprung zu nutzen, den ein Bestand allein dadurch hat, dass es ihn schon gibt…"

Oliver Platz, Präsident der Architektenkammer der Freien Hansestadt Bremen

Anknüpfend an den Kommentar von Oliver Platz in DAB-Online "Den Umbau zum Normalfall machen", plädiert Christina Patz für mehr Bauen im Bestand. Die Architektin und Energieeffizienzexpertin engagiert sich als Sprecherin der Arbeitsgruppe "Bauen im Bestand" bei den "Architects for Future".

Eine Veränderung politischer und rechtlicher Rahmenbedingungen ("Umbauordnung") ist eine wesentliche Grundlage zur Förderung des Bauens im Bestand. Nicht weniger relevant ist, dass wir Architekt*innen das Bauen im Bestand als vollwertige Aufgabe annehmen: Weder in der Lehre noch im Berufsbild wird Bauen im Bestand als eine spannende, auch herausfordernde Bauaufgabe, als ein direkter Umgang mit Baugeschichte und Baukultur, Ressourcenschonung und – bei entsprechender Planung und Umsetzung – Klimaschutz und als Bauaufgabe der Zukunft beschrieben und wertgeschätzt. Leider gibt es auch nur wenige Projekte im Bestand, die sich vorzeigen lassen – in Bezug auf Klimaschutz und Mehrwert für Nutzer und Gesellschaft. Ein Großteil der Umbau- und Sanierungsprojekte findet noch immer ohne Architekt*innen statt und beschränkt sich auf das Dämmen von (Einzel-)bauteilen. Von einem Gesamtkonzept, guter Architektur und dem Ausschöpfen von Potenzialen ist hierbei kaum die Rede.

Potenziale erkennen

Es liegt an uns Planenden, die vorhandenen Potenziale im Gebäudebestand – energetisch wie auch räumlich – zu erkennen, diese unseren Auftraggeber*innen vor Augen zu führen und mit integralen Konzepten eine neue Qualität des Bauens im Bestand zu etablieren. Bei Gründerzeitbauten können viele Kolleg*innen Lust an den Bauaufgaben finden. Dachsanierungen bei einem Bau aus den 50er- bis 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts hingegen werden nur selten als Architektenaufgabe wahrgenommen. Gerade in diesen Gebäuden liegen jedoch viele Potenziale, einerseits für Energieeinsparung und Klimaschutz, andererseits für Wohnraumschaffung und Innenentwicklung durch Aufstockungen und Erweiterungen.

Potenziale ausschöpfen

Große Veränderungen sind bei Bestandsgebäuden durchaus auch mit kleinen Eingriffen möglich – wir müssen diese als Architekt*innen nur vorschlagen! Nachfolgend eine Auswahl, die unbedingt untersucht werden sollte – kombiniert mit Vorschlägen, die wir als Architekt*innen in Umbau- und Sanierungsprojekte einbringen. Flexible Grundrisse sind im Bestand nur bedingt realisierbar, dennoch lassen sich Veränderungen der Bedürfnisse der Bewohner*innen mitplanen, um spätere Umbauten zu vermeiden bzw. zu vereinfachen.

  • Umbau von Wohngebäuden: kritische Prüfung vorhandener Wohnungsgrößen und Vorschläge für mögliche Anpassungen an veränderte Wohnformen (Flächeneinsparung durch kleinere Wohnungen mit gemeinschaftlich nutzbaren Räumen, wie einer Gästewohnung, Waschraum, und Konzept für reduzierte Stellplätze) ‡
  • Umbau von Wohnräumen: Erörterung und Einbeziehung möglicher zukünftiger Bedarfe in die Planung (z.B. veränderte Anzahl oder Mobilität der Bewohner*innen), Teilbarkeit von Wohneinheiten mit entsprechenden Anschlüssen, Brandschutz- und Schallschutzqualitäten; Wohnen auf einer Ebene (altersgerecht) etc. ‡
  • Verdichtung im innerstädtischen Bereich: Untersuchen, ob z.B. mehr Wohnraum im Einklang mit dem Bestand geschaffen werden kann (z.B. Aufstockungen vorschlagen). ‡
  • Dachsanierungen: Untersuchen, ob die Dachfläche begrünt und/oder für die Erzeugung regenerativer Energien genutzt werden kann. ‡
  • Dämmen der Außenwände und Fenstertausch: Vergrößern von Fensteröffnungen für mehr Raumqualität (Tageslicht) und größere solare Gewinne
  • Materialwahl: Ökologisch verträglichen Baustoffen, lösbaren Verbindungen und kreislauffähigen Baustoffen bei allen Bauteilsanierungen einen klaren Vorzug geben.‡
  • Energetische Sanierungen: mit Prioritäten zu CO2-Einsparung und Klimaschutzzielen sowie der Begleitung durch Sanierungsfahrpläne

Lassen Sie uns die Aufgaben beim Bauen im Bestand annehmen: mit gleicher Hingabe, Kreativität und Sorgfalt wie beim Neubau und so den Paradigmenwechsel in der Baubranche hin zu klimagerechtem, wohngesundem und kreislaufgerechtem Bauen mitgestalten. Wenn wir als Planende diese Vorschläge nicht einbringen, werden sie nicht realisiert. Uns steht also ein großer Handlungsspielraum offen.

Haben Sie Fragen zu diesem Thema oder zum nachhaltigen Planen und Bauen? Kontaktieren Sie die "BEN – Beratungsstelle Energieeffizienz und Nachhaltigkeit" unter www.byak-ben.de / Tel: 089 139880 80

Autorin: Dipl.-Ing. M.Sc. Christina Patz, Architektin und Energieeffizienzexpertin

Weiterführende Links

DAB-Kommentar von Oliver Platz, Präsident der Architektenkammer der Freien Hansestadt Bremen "Den Umbau zum Normalfall machen":
Link

Leitfragen zum kreislaufgerechten Planen und Bauen:
Link

Preis Bauen im Bestand:
Link

Konsultation der BAK zur Initative "Renovierungswelle" für öffentliche und private Gebäude:
Link

Publikation "Nachhaltigkeit gestalten" der ByAK:
Link

BEN-Blog 10/2020 Mit Bauen im Bestand Zukunft gewinnen:
Link

Beispielhafte Bauten der ByAK:
Link

[Die Links wurden zuletzt am 02.11.2020 geprüft]

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