07/2019 Klimaschutzstandards – ja oder nein?
Klimaschutz
"Es lohnt sich, um jedes Grad, ja, jedes Zehntel Grad vermiedene Temperaturerhöhung zu kämpfen."
Hans-Joachim Schnellnhuber, Leiter des Potsdamer Instituts
für Klimafolgenforschung in Germanwatch: Die Welt am Scheideweg
Zur Diskussion gestellt werden hier sog. Klimaschutzstandards. Sie definieren energetische Qualitäten im Neubau und Bestand nebst Versorgungslösungen, die in Übereinstimmung mit den Klimaschutzzielen stehen. Ihre Begründung erfolgt über einen Vergleich von Szenarien, in denen
unterschiedliche "Energiezukünfte" gegenübergestellt werden. Die Referenzentwicklung unterstellt ein "Weiter so" (z.B. EnEV, künftiges GEG, langsamer Ausstieg aus fossilen Heizsystemen). Die Klimaschutzszenarien hingegen versuchen, vorgegebene CO2-Reduktionsziele einzuhalten und kombinieren effektive Effizienzstandards mit einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Klimaschutzstandards zeichnen sich durch hohe Qualitäten der baulich- technischen Komponenten aus (z.B. U-Werte Gebäudehülle 0,10 – 0,15 W/m²K, Lüftung mit Wärmerückgewinnung, stromeffiziente Ausstattungen, erneuerbare Wärme- und Stromversorgungen) wie sie typisch für Passiv- und z.T. Sonnen- sowie Aktivhäuser sind.
Bei Sanierungen im Bestand ist zwischen voll und bedingt sanierbaren sowie denkmalgeschützten Gebäuden zu differenzieren.Häufig kommen hier nur schrittweise Modernisierungen in Betracht. Zu vereinbaren sind ferner konkrete Ausstiegszeitpunkte für fossile Heizsysteme (z.B. 2030). Das sich derzeit in Abstimmung befindliche GebäudeEnergieGesetz (GEG) ist von diesen Standards – speziell bei den Bauteilanforderungen – sehr weit entfernt und wirkt daher wie aus der Zeit gefallen. Die eigentliche Definition der Klimaschutzstandards erfolgt über CO2-Äquivalent-Zielwerte. Der Weg dorthin ist freigestellt und damit einer wirtschaftlichen Optimierung zugänglich. Es werden keine Gestaltungsvorgaben (z.B. Südorientierung, Kompaktheit) gemacht. Wir haben sehr viel Zeit verloren, denn die Nein-Fraktion hat bis heute das Sagen: Jeder Bau, der nicht den Klimaschutzstandards entspricht, stellt eine verpasste Chance dar und bringt uns einen Schritt näher an die 3- oder 4-Grad-Welt. Daraus folgt: Gesetzliche Vorgaben werden vor allem für die Nein-Fraktion benötigt, die 98% des heutigen Bauvolumens bestimmt. Wir können aber auch mehrheitlich mit Nachdruck und selbstbestimmt "Ja" sagen. Das würde eine Zeitenwende in der Architektur mit einem enormen Motivationsschub auslösen und wäre nicht nur aus Klimagründen vernünftig. Seriöse Kostenstudien zeigen, dass aus Lebenszyklusperspektive diese Standards bereits heute optimal abschneiden.
Auch der thermische Komfort wird spürbar besser. Jeder Architekt ist somit aufgerufen, diese Standards in der künftigen Praxis umzusetzen oder eben noch bessere Konzepte zu entwickeln. Zudem gilt: Die Architektenkammer muss sich, wenn sie sich zu den Pariser Klimaschutzzielen bekennt, entschieden und mit aller Kraft für ein GEG einsetzen, das diesen Standards entspricht (wie z.B. in Luxemburg im Neubaubereich mit der RGD seit 2017 beschlossen). Strebt man anstelle des 2-Graddas 1,5-Grad-Ziel an, sind darüber hinausgehende Anforderungen zu stellen, die dann zusätzlich Suffizienzstrategien (z.B. kleiner oder gar nicht bauen, Verzicht auf individuelle Mobilität)
und die aktive Bindung von CO2 in Senken (z.B. Neuaufforstungen und verstärkter Einsatz von Holzbauweisen, Vernässung von ehem. Mooren, Einlagerung von CO2 aus Biomasse Heizkraftwerken in geologische Lager) betreffen.
Klimaschutzstandards betreffen definitionsgemäßnur den Kernbereich, den Architekten verantworten (Gebäudehülle, Lüftung, Versorgungssystem und Konstruktion inkl. Herstellungsaufwand):
Orientierungswerte (Hülle / Lüftung) GWP Betrieb Gebäude (Neubau) | GWP Herstellung Gebäude Emissionsfaktoren (GWP) GWP = Global-Warming-Potential |
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Autor: Dr. Rainer Vallentin, Vallentin + Reichmann Architekten GbR
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