31.03.2023

03/2023 Kriterien bei der Vergabe nachhaltiger Planungs- und Bauleistungen – Teil 1 Stellschrauben

Klimaschutz

Projekt der Architektouren 2022: Freianlagen Prinz Eugen Park WA 16, Baumerhalt im Baufeld, liebald + aufermann, landschaftsarchitekten & stadtplaner

Foto: Foto: Katja Aufermann

"In the end we will conserve only what we love, we will love only what we understand and we will understand only what we are taught."

"Am Ende werden wir nur erhalten, was wir lieben, werden wir nur lieben, was wir verstehen, und wir werden nur verstehen, was wir gelehrt werden."

Bada Dioum, Senegalesischer Umweltschutzexperte auf der UN Conference on Environment and Development in Rio de Janeiro, 1992

 

Das Bauwesen in Deutschland ist verantwortlich für 70% des inländischen Ressourcenverbrauchs, 95% der in Deutschland gewonnenen mineralischen Rohstoffe sind Baumineralien [1]. Gleichzeitig sind 55% des Abfallaufkommens Bau und Abbruchabfälle [2]. Die Herstellung von nur einer Tonne Zement verursacht 600 kg CO2 [3]. Dies entspricht dem Ausstoß von mehr als 6000 km Autofahren (bei 95 g/km, CO2-Grenzwert für PKW-Neuzulassungen). Jeden Tag werden 540.000 m² Natur- oder Kulturlandschaft zu Siedlungs- und Verkehrsflächen entwickelt [4] und verlieren damit den Großteil ihrer Funktion als CO2-Senke. 75% aller Wohnungen im Bestand werden fossil beheizt [5] und der Betrieb der hierzulande errichteten Gebäude verursacht 30% der nationalen Treibhausgasemissionen [6]. Zugleich sind diese im Gebäudesektor seit 2014 nicht mehr gesunken [7].

Diese Zahlenreihen, die sich noch beliebig fortsetzen und interpretieren ließen, sollen vor Augen führen, dass Architektur und Stadtplanung eine essenzielle Verantwortung für das Voranschreiten oder Mildern des Klimawandels, also den Klimaschutz haben.

Unser Handeln als Plandende aller vier Fachrichtungen im Team mit unseren Auftraggebenden sowie DienstherrInnen ist sowohl baukulturell, gesellschaftlich als auch global relevant. Maßgeblich für die Beförderung klimasensibler Architektur sind (öffentliche) Beschaffungs- bzw. Vergabeverfahren und Wettbewerbsauslobungen, die Kriterien der Nachhaltigkeit enthalten.

Die Integration von Nachhaltigkeitskriterien bei Planungs- und Bauvorhaben

  • leistet einen Beitrag zu globaler Gerechtigkeit
  • beachtet Umwelt-, Gesundheits- und Arbeitsschutz
  • erzielt einen ökonomischen Mehrwert durch Lebenszyklusbetrachtung
  • fördert soziale Ziele vor Ort
  • steigert lokale Innovationen.

Grundlage bilden Nachhaltigkeits- oder Klimaschutzkonzepte, die von Unternehmen oder der öffentlichen Hand als Maßnahmen der Selbstverpflichtung formuliert werden. Diese können z.B. Anforderungen an die Materialität und Konstruktion, an die Energieeffizienz oder Anpassungsmaßnahmen an die Folgen des Klimawandels (Gebäudebegrünung, sommerlicher Wärmeschutz, blau-grüne Infrastrukturen bei der Freiraumgestaltung etc.) enthalten. Sie sollten ganzheitlich formuliert und mit messbaren Zieldefinitionen ausgestattet sein (z.B. maximale CO2-Emissionen, Gehalt grauer Energie, Gebäudeeffizienzstandard, solare Mindestflächen, Versiegelungsgrad usw.).

Bei einer Formulierung von Ausschreibungs- oder Auslobungstexten sind die bekannten Anforderungen einzuhalten:

  • Transparenz, Produkt- und Dienstleistungsneutralität
  • Gleichbehandlung und Fairness
  • Wirtschaftlichkeit
  • Gebot des Wettbewerbs
  • Verhältnismäßigkeit

Wichtig, um die gewünschten Ziele regelkonform und nachvollziehbar zu erreichen, sind die genauen Definitionen und eindeutigen technischen Spezifikationen der Anforderungen, z.B. mit Festlegungen von Mindestqualitäten mittels Gütezeichen, Normen oder Zertifikaten (Referenzkriterien und Gleichwertigkeitsnachweisen sollen möglich sein). Auch messbare Auswahl- und Ausschlusskriterien bei der Präqualifikation können als Übersicht der wirtschaftlichen und fachlichen Eignung der Bieterinnen und Bieter bei der Auswahl unterstützen (z.B. Portfolio mit Referenzen/Erfahrungen in der nachhaltigen Gebäudeplanung, Fach-/Listeneintragungen, Zertifizierungen etc.). Die Beurteilung und Zuschlagsvergabe nach dem i.d.R. wirtschaftlichsten Angebot, sollte z.B. auf Basis einer Lebenszykluskostenberechnung vorgenommen werden und eine vertraglich festgelegte Absicherung beinhalten, mit dem Anspruch die Nachhaltigkeitsziele und -parameter zu erfüllen, da bei Nichterfüllung eine Vertragsstrafe droht.

Technische Aspekte bei der nachhaltigen Bauvergabe können beispielsweise sein:

  • Standortwahl und Bestandsaktivierung (Modernisierung statt Neubau)
  • Lebenszyklus(kosten)betrachtung (ganzheitliche Betrachtung von Planungs-, Bau- und Betriebsphase, Um-, Nachnutzung): Es entfallen z.B. nur rund 10–15% der Lebenszykluskosten auf die Bauphase.
  • passives Design (Nutzung natürlicher Belichtung und Belüftung, Beschattung)
  • Lowtech: Vermeidung unnötiger und kurzlebiger Gebäudetechnik
  • Ressourcenschonung: Energieeffizienz und Materialität (z.B. erneuerbare Baustoffe)
  • Kreislauffähigkeit (z.B. lösbare Verbindungen, Recyclierbarkeit, betonreduzierte Bauweisen)
  • Brauchwasserkonzepte (Regenwassernutzung)
  • Gebäudebegrünung (Dach-, Fassadenbegrünung)
  • Integration blau-grüner Infrastrukturen bei Gebäude- und Freiraumplanung
  • Verwendung von Gütesiegeln und Gebäudezertifizierungen

Diese Zusammenstellung soll als grober Überblick über die umfangreichen Kriterien bei der Vergabe von nachhaltigen Planungs- und Bauleistungen dienen. Es soll Mut machen, die Kriterien der Nachhaltigkeit auch bei strukturierten Verfahren umfänglich einzufordern. Denn der voranschreitende Klimawandel und die Pariser Klimaziele machen ein zielführendes Handeln noch innerhalb dieses Jahrzehnts dringend notwendig.

Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie im nächsten BEN-Blog im DAB-Aprilheft und hier auf der Homepage sowie im nächsten Webseminar BEN-Update am 27.04.2022 um 14 Uhr – hier geht es zur Anmeldung.

Wenden Sie sich gerne direkt mit Ihren Fragen an die BEN: www.byak-ben.de; ben@remove-this.byak.de, T: 089 139880 88.

Autor: Gero Suhner

Weiterführende Links

Quellen:

[1] www.umweltbundesamt.de

[2] Abfallbilanz 2020

[3] Verein Deutscher Zementwerke, VDZ, Hrsg. Dekarbonisierung von Zement und Beton – Minderungspfade und Handlungsstrategien. Düsseldorf, 2020

[4] www.destatis.de

[5] www.bdew.de

[6] Deutsche Energie-Agentur (dena, 2021): dena-Gebäudereport 2021 – Fokusthemen zum Klimaschutz im Gebäudebereich Wuppertal Institut (2020).

[7] CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze. Bericht. Wuppertal.

[Die Links wurden zuletzt geprüft am 07.02.2023]

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