Gute Orte für ein lebenswertes Wohnen im Alter

  • Zeitraum: August 2024
  • Beratungsschwerpunkt:
    • Planen & Bauen
Eine kleine Intervention mit großer Wirkung: Ein Laubengang im Freien lädt die Bewohnerinnen und Bewohner des St. Franziskus Altenheims in München zur sozialen Interaktion ein.
Seniorinnen und Senioren sitzen im Sommer auf Holzbänken, Klappstühlen und in ihren Rollstühlen im Freien und unter einer Pergola und unterhalten sich dabei. Die Sonne erzeugt ein schönes Lichtspiel.

Eine kleine Intervention mit großer Wirkung: Ein Laubengang im Freien lädt die Bewohnerinnen und Bewohner des St. Franziskus Altenheims in München zur sozialen Interaktion ein.

Foto: © Verena Kathrein

„Die Altersstruktur in Deutschland verschiebt sich immer stärker und bringt tiefgreifende Herausforderungen mit sich. Demenzielle Erkrankungen nehmen erheblich zu, ebenso wie der Pflegefachkräftemangel. Die Kosten im Gesundheitswesen steigen rapide. Diese Aufgaben müssen nicht nur auf politischer, sondern auch auf sozialer Ebene angegangen werden“,

erklären die beiden Architektinnen Victoria Schweyer und Jana Wunderlich, die sich mit ihrem Architekturbüro pflücken sowie wissenschaftlich an der Fakultät für Gesundheit und Pflege der Katholischen Stiftungshochschule München mit der Schaffung von alters- und demenzgerechten Wohnkonzepten befassen. Diese sollen den an Demenz erkrankten Menschen ein Leben in Würde ermöglichen und ein Zusammenkommen von verschiedenen Generationen fördern.

Dazu brauche es mehr gute Begegnungsorte, die für alle Menschen zugänglich sind, die verschiedene Altersgruppen zusammenbringen, zu Interaktion und Kommunikation einladen und so Vereinsamung vorbeugen, fordern die beiden Planerinnen. Gerade Pflegeheime sollen keine Orte der Einsamkeit sein, sondern müssen den Bewohnerinnen und Bewohnern in ihrer letzten Lebensphase ein wohltuendes Umfeld bieten, das gleichzeitig auch den Pflegekräften den Arbeitsalltag erleichtert. Das Architekturbüro pflücken begleitet Pflegeinstitutionen beratend und planend bei demenzsensiblen Um- und Neubauten. Mit dem Workshopformat „Gute Orte“ setzen die Architektinnen auf kleine und niedrigschwellige Interventionen, die bereits eine große Veränderung in bestehenden Einrichtungen erzielen können. Victoria Schweyer und Jana Wunderlich führen dafür mit den Bewohnerinnen und Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen sowie dem Personal Workshops durch, um genau deren Bedürfnisse zu verstehen.

„Ältere Menschen erinnern sich gerne an ihre Vergangenheit und an Orte, an denen sie sich wohlgefühlt haben. (…) Das Potenzial von Erinnerungen, deren räumliche sowie soziale Qualitäten, kann genutzt werden, um sogenannte „Gute Orte“ zu schaffen“,

erklären die beiden Planerinnen.

Ausgehend von den gesammelten Erinnerungsorten werden Möbel, Pavillons und Gärten konzipiert, die im Anschluss in einem partizipativen Prozess mit Anwohnenden, Studierenden und Interessierten unter Anleitung von Handwerkerinnen und Handwerkern realisiert werden. Die so entstehenden Kommunikationsorte werden zum Treffpunkt und regen zum Austausch an – darunter beispielsweise das „Zimmer im Freien“ im St. Franziskus Altenheim in München sowie ein „Schattendach“ im Garten des Altenheims Maria Eich in Krailling. 

Was macht einen guten Ort aus? An welchen guten Orten wollen wir alt werden? In Gesprächen und Zeichnungen werden in Workshops die Erinnerungen an Wohlfühlorte festgehalten
Das linke Bild zeigt drei Senioren im Workshop im Gespräch. Rechts daneben ist eine Zeichnung eines Erinnerungsortes von einem Tisch im Freien neben Obstbäumen abgebildet.

Was macht einen guten Ort aus? An welchen guten Orten wollen wir alt werden? In Gesprächen und Zeichnungen werden in Workshops die Erinnerungen an Wohlfühlorte festgehalten

Foto: © Valentina Rossa, Zeichnung: Erika Fasenmeier

Zimmer im Freien

Im Münchner St. Franziskus Altenheim entstand im Garten ein neuer, altersgerechter Kommunikationsort. Die Basis für dessen Gestaltung bildeten Zeichnungen und Gespräche mit Bewohnerinnen und Bewohnern während eines Workshops zu Orten, die sie mit einer guten Erinnerung verbinden. Das sogenannte „Zimmer im Freien“ besteht aus einem Arkadengang aus einer filigranen Holzkonstruktion und Vordachschirmen, die vor Sonne und Regen schützen. Der Arkadengang öffnet sich zum Freiraum und lädt dazu ein, beieinander zu sitzen und das Geschehen im Garten zu beobachten. Eine Schrankwand dient als schützende Wand im Rücken und bietet Platz für Gartenmöbel und Werkzeug. Der neue Treffpunkt im Garten des Altenheims bietet auch für Familien und die Nachbarschaft Gelegenheit zum Verweilen. Teil des neuen Kommunikationsortes ist zudem ein Sinnesgarten mit Duft- und Fühlbeeten, der in einem partizipativen Workshop gemeinschaftlich angelegt wurde. Die Beete geben Orientierung im Wechsel der Jahreszeiten, die Düfte der Pflanzen wecken Erinnerungen.

Der neue „gute Ort“ im St. Franziskus Altenheim soll zum Mitmachen anregen, wie im Gartenworkshop (links) oder dem Experimentieren mit Vogelpfeifen.
Das linke Bild zeigt vielfältige Kräuter und Blumen noch in ihren Pflanzkübeln, bereit zum Einpflanzen im Garten. Das Bild rechts daneben zeigt drei Damen im Laubengang vor einigen aufgehängten Bildern von heimischen Vögeln.

Der neue „gute Ort“ im St. Franziskus Altenheim soll zum Mitmachen anregen, wie im Gartenworkshop (links) oder dem Experimentieren mit Vogelpfeifen.

Foto: ©pflücken / Verena Kathrein

Schattendach im Garten

Im Rahmen des Masterprojekts "Gute Orte" gingen Schweyer und Wunderlich als Gastdozentinnen am Lehrstuhl für Entwerfen und Gestalten von Prof. Uta Graff an der Architekturfakultät der TU München der Frage nach, wie sich Altenheime nach außen öffnen. Dazu wurde über zwei Semester mit den Studierenden eine altersgerechte Kommunikationsarchitektur für den Außenraum des Caritas Altenheims Maria Eich in Krailling entworfen und realisiert. Auch hier war die Basis für den Entwurf zunächst die Suche nach Erinnerungsorten, die in Gesprächen mit Bewohnenden und älteren Menschen aus dem privaten Umfeld gesammelt wurden. Die wesentlichen Elemente dieser Erinnerungen wurden im Anschluss in eine architektonische Interpretation übersetzt. In Krailling entstand so eine neue Platzgestaltung im Garten der Einrichtung mit Brunnen und einer sichelförmigen Holzkonstruktion auf Rundstützen als Sonnen- und Regenschutz. Die Holzelemente wurden von den Studierenden vorgefertigt und auch hier in einem partizipativen Prozess vor Ort errichtet.

Die mehrwöchigen Arbeiten vor Ort im Garten des Caritas Altenheims regten einen Austausch zwischen den Studierenden und Bewohnenden an und sensibilisierten die Studierenden nachhaltig für das Thema Wohnen im Alter.
Jung Menschen transportieren Module der Holzkonstruktion in den Garten.

Die mehrwöchigen Arbeiten vor Ort im Garten des Caritas Altenheims regten einen Austausch zwischen den Studierenden und Bewohnenden an und sensibilisierten die Studierenden nachhaltig für das Thema Wohnen im Alter.

Foto: ©pflücken
In einer Werkstatt der Technischen Universität München konnten die Studierenden die Holzkonstruktion vorfabrizieren und anschließend die Holzelemente vor Ort montieren.
Links: Eine Studentin und ein Schreiner arbeiten in einer Holzwerkstatt. Rechts: Zwei junge Männer montieren die Holzbauelemente vor Ort im Garten.

In einer Werkstatt der Technischen Universität München konnten die Studierenden die Holzkonstruktion vorfabrizieren und anschließend die Holzelemente vor Ort montieren.

Foto: ©pflücken
Unter dem neuen Schattendach im Garten des Caritas Altenheims Maria Eich in Krailling lässt sich die Ruhe genießen.
Eine sichelförmige Holzdachkonstruktion ruht auf acht Rundstützen. Im Schatten darunter sitzt eine Bewohnerin und blickt in den Garten.

Unter dem neuen Schattendach im Garten des Caritas Altenheims Maria Eich in Krailling lässt sich die Ruhe genießen.

Foto: ©pflücken

Förderpreis der Stadt München

Die Architektinnen von pflücken wurden für ihr Engagement im Bereich des altengerechten und demenzsensiblen Bauens mit dem diesjährigen Förderpreis der Stadt München in der Kategorie Architektur ausgezeichnet.

„Mit ihrem im Jahr 2018 gegründeten Büro pflücken widmen sich die Architektinnen Jana Wunderlich und Victoria Schweyer einem selbstgewählten Schwerpunkt von höchster Dringlichkeit und gesellschaftlicher Relevanz, der bislang im Architekturdiskurs nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit findet: dem altengerechten und demenzsensiblen Bauen“,

so die Jury in ihrer Begründung. Die innovativen Ansätze des Büros zur Gestaltung von Pflegeeinrichtungen und altersgerechten Wohnräumen tragen dazu bei, die Lebensqualität älterer Menschen signifikant zu verbessern.

 

Autorin: Bettina Sigmund

Weitere Informationen unter:

pfluecken.net