30.09.2024

Testverfahren im Vergleich – ein Überblick über relevante Webseiten-, Software- und App-Tests

Digitale Barrierefreiheit

Stiftung Pfennigparade
Zwei Blatt Papier mit Testabfrage liegen auf einem Tisch

Stiftung Pfennigparade

Um digitale Produkte auf Barrierefreiheit zu überprüfen, sollten sie zunächst getestet werden. Doch woher weiß man, was barrierefrei ist und wie beginnt man einen solchen Test? Zum Glück muss man sich nicht in die Zielgruppen hineindenken und selbst Testverfahren für Menschen mit Behinderungen mit ihren unterschiedlichen Einschränkungen entwickeln. Es gibt bereits entwickelte Standards und Testverfahren, die alle Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen berücksichtigen.

Standards der digitalen Barrierefreiheit

Die Standards und gesetzlichen Vorgaben zur digitalen Barrierefreiheit betreffen neben Webseiten auch Software, Apps und PDF-Dateien. Als technischer Standard gelten international die WCAG und in Europa die EN 301549

Bei der Umsetzung und Interpretation dieser Standards stoßen viele auf Schwierigkeiten: Zum Beispiel kann ich aus den WCAG herauslesen, welche Grenzwerte es für Kontraste gibt, aber ich weiß nicht unbedingt, wie ich Kontraste messen kann. Oder ich weiß, dass eine Webseite tastaturbedienbar sein soll, aber nicht, wie ich das technisch umsetzen soll. Mit der Interpretation und Umsetzung der technischen Standards ist man also zunächst allein gelassen.

Testverfahren liefern Erklärungen und bieten Unterstützung

Glücklicherweise gibt es Testverfahren für Webseiten, Software, Apps und PDFs, die die technischen Standards aufgreifen und in Prüfschritte umsetzen. Die Tests enthalten Erläuterungen zu den Prüfschritten, Erklärungen zur Umsetzung und Hinweise auf unterstützende Werkzeuge. Wir haben die wichtigsten Tests in deutscher Sprache miteinander verglichen.

Übersicht der Tests

Die meisten der im Folgenden aufgeführten Testverfahren für Webseiten, Software und Apps stammen von privaten Anbietern, deren Verfahren offengelegt und damit für alle nachvollziehbar sind. Man kann die Verfahren also selbst anwenden, wenn man eine gewisse technische Expertise mitbringt oder sich einarbeitet. Alternativ können Testungen auch von Dienstleistenden in Auftrag gegeben werden. PDF-Testungen haben wir an dieser Stelle ausgenommen. Ein Überblick folgt in einem anderen Artikel.

BITV-Test für Webseiten 

  • Was wird getestet? Der BITV-Website-Test prüft die Barrierefreiheit von Webseiten.
  • Gesetzliche Verordnungen und Standards: Der Test basiert auf den Anforderungen der BITV 2.0 und dem technischen Standard der EN 301549, Kapitel 9 (+ Tabelle Annex A).
  • Was wird nicht getestet? Leichte Sprache, Gebärdensprache und Dokumente werden nicht erfasst, ebenso wenig Software oder mobile Apps. Auch die Kriterien der WCAG 2.2 sind im Standard BITV-Test nicht enthalten.
  • Aufbau des Tests: Der BITV-Webseiten-Test besteht aus insgesamt 98 Prüfschritten (60 Prüfschritten aus den WCAG 2.1-Kriterien und weiteren 38 Kriterien aus der EN 301549). Bei jedem Prüfschritt wird festgestellt, ob dieser „konform“ oder „nicht konform“ ist.
  • Unterstützende Werkzeuge: Der BITV-Webseiten-Test bietet eine umfangreiche Werkzeugliste, inklusive Empfehlungen zu Screenreadern, Browser-Einstellungen, Plugins, Bookmarklets und anderer Software.
  • Dienstleistungen: Benötigt man bei der Umsetzung der Prüfschritte des BITV-Webseiten-Tests Unterstützung, kann man diesen Test über den BIK-Prüfverbund einkaufen und die Webseite zertifizieren lassen.

BITV-Test für Apps

  • Was wird getestet? Der BITV-App-Test prüft die Barrierefreiheit von mobilen Applikationen auf Android und iOS.
  • Was wird nicht getestet? Leichte Sprache und Gebärdensprache sowie Dokumente werden nicht im Testverfahren erfasst, ebenso wenig Software und Webseiten.
  • Gesetzliche Verordnungen und Standards: Der Test überprüft Barrierefreiheitsanforderungen, die in der BITV 2.0 § 3 definiert sind, nämlich die Anforderungen der EN 301 549 Kapitel 11 Software inklusive Tabelle A2 des Annex A (Tabelle verweist auf Kapitel 5, 6, 7 und 12 der EN)
  • Aufbau des Tests: Der BITV-App-Test prüft in 110 Prüfschritten die Kriterien aus der EN 301549. Bei jedem Prüfschritt wird festgestellt, ob dieser „konform“ oder „nicht konform“ ist.
  • Unterstützende Werkzeuge: der BITV-App-Test bietet eine umfangreiche Werkzeugliste inklusive Empfehlungen zu Bedienungshilfen in iOS und Android
  • Dienstleistungen: Benötigt man bei der Umsetzung der Prüfschritte des Tests Unterstützung, kann man diese über eine Testung vom BIK-Prüfverbund einkaufen und die Apps zertifizieren lassen.

Handreichung für barrierefreie Gestaltung von User Interface Elementen

  • Was wird getestet? Die Handreichung der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik ist kein formaler Test, sondern ein Leitfaden, der sich auf die Gestaltung von UI-Elementen in verschiedenen Anwendungen (Software, Webseiten und Apps) fokussiert.
  • Gesetzliche Verordnungen und Standards: Die Handreichung zielt auf die Einhaltung der WCAG- und EN 301549-Normen ab. Sie enthält außerdem Ergänzungen zu verschiedenen ISO-Normen. Die Handreichung ist in MUSS- und SOLL-Kriterien unterteilt. Die MUSS-Kriterien spiegeln die gesetzlichen Anforderungen in Deutschland wider.
  • Was wird nicht getestet? Es handelt sich nicht um ein Testverfahren mit Prüfpunkten, sondern um eine Orientierungshilfe zu den technischen und inhaltlichen Anforderungen einzelner Elemente von Webseiten, Software oder Apps.
  • Aufbau des Leitfadens: Anders als der BITV-Test, der sich am Aufbau der EN 301549 orientiert, liegt der Fokus der Handreichung auf einzelnen UI-Elementen wie Buttons, Formularen, Menüs oder Authentifizierungen. Diese werden mit Erklärungen, rechtlichen Verweisen und einem Hinweis auf MUSS- oder SOLL-Kriterien versehen.
  • Unterstützende Werkzeuge: In diesem Leitfaden werden keine spezifischen Werkzeuge genannt, aber Praxistipps und technische Umsetzungshilfen angeboten.
  • Dienstleistungen: Da es sich um kein Testverfahren handelt, werden auch keine Testungen angeboten. Das Ziel der Überwachungsstelle ist Aufklärung und praktische Unterstützung. Auf der Webseite der Überwachungsstelle des Bundes findet man weitere Handreichungen sowie Hinweise zu Veranstaltungen oder Fachartikel.

BIT inklusiv Software-Test

  • Was wird getestet? Der BIT inklusiv Software-Test prüft Plattform-Software, Software mit Benutzeroberfläche, Autorentools, Software als assistive Technologie auf digitale Barrierefreiheit. Der BITi-Test stellt eine Prüfanleitung und eine Arbeitsumgebung für den Expertentest zur Verfügung und wurde für kompilierte Software unter MS Windows entwickelt.
  • Gesetzliche Verordnungen und Standards: Der BITi-Prüfkatalog für barrierefreie Software basiert im Kern auf den Standards EN 301 549 Kapitel 11und ISO 9241-171. Punktuell wurden weitere Standards herangezogen.
  • Was wird nicht getestet? Webseiten, mobile Apps, Leichte Sprache, Gebärdensprache und eingebunde Dokumente werden nicht getestet. Außerdem wird keine Software getestet, die in Webseiten integriert ist.
  • Aufbau des Tests: Der BIT inklusiv BITV-Software-Test enthält insgesamt 81 Prüfschritte. Wie beim BITV-Test ist das Ergebnis bei jedem Prüfschritt „konform“ oder „nicht konform“.
  • Unterstützende Werkzeuge: Es gibt eine Werkzeugliste für den BITI-Software-Test für Anwendungssoftware und Webanwendungen.
  • Dienstleistungen: Das BIT-Inklusiv Netzwerk bietet qualifizierte Prüfstellen, die den Softwaretest gegen Bezahlung begleiten.

BIT inklusiv App Test

  • Was wird getestet? Der BIT inklusiv App-Test prüft mobile Applikationen für die Betriebssysteme iOS und Android.
  • Gesetzliche Verordnungen und Standards: der Test basiert auf der europäischen Richtlinie für Apps EN 301549 (Version 3.2.1, Annex A – Tabelle A.2 - Mobile Apps) und Definitionen der Begrifflichkeiten für UI-Elemente aus der DIN-Norm DIN EN ISO 9241-16.
  • Was wird nicht getestet? Deutsche Gebärdensprache, Leichte Sprache und eingebunden Dokumente sowie Webseiten und klassische Software werden nicht getestet.
  • Aufbau des Tests: Der Test ist auf die Nutzung mobiler Apps auf iOS- und Android-Plattformen ausgelegt. Der Test enthält Begriffserklärungen, Beispiele für korrekte Semantik und 123 Prüfschritte anhand der EN 301 549. Bei jedem Prüfschritt wird festgestellt, ob dieser „konform“ oder „nicht konform“ ist.
  • Werkzeuge: Für den App Test führt das BIT-inklusiv Netzwerk keine explizite Werkzeugliste auf. Allerdings gibt es Empfehlungen zu Einstellungen und Bedienungshilfen in den Betriebssystem iOS und Android.
  • Dienstleistungen: Wie beim Software-Test bietet das BIT Inklusiv Netzwerk qualifizierte Prüfstellen, die den App Test gegen Bezahlung begleiten.

Neuerungen der Testverfahren werden erwartet

Alle aufgeführten Testverfahren richten sich nach dem aktuellen gesetzlichen Stand, bei dem die EN 301549 in der Version 3.2.1. mit Verweis zur WCAG 2.1 die zentrale Rolle spielt. Da die WCAG mit der Version 2.2 schon einen Schritt weiter ist, erwarten wir eine Anpassung der EN 301549 in den kommenden Monaten. Dann sollte man darauf achten, dass die Testverfahren auch den neuen Anforderungen entsprechenden. Beim BITV-Test + WCAG 2.2 (Web) des BIK-Prüfverbundes ist dies bereits geschehen. Um zukunftssicher zu agieren, kann man auch jetzt schon die neuen Erfolgskriterien der WCAG 2.2 in Projekten einplanen.

Dienstleistungen vergleichen und auf Qualität achten

Die aufgeführten Testverfahren stellen nur ein Auszug der angebotenen Testverfahren in Deutschland dar. Es gibt derzeit viele Agenturen und Unternehmen, die Tests zur digitalen Barrierefreiheit anbieten, wie beispielsweise die Telekom MMS oder den TÜV Süd (und viele mehr).

Sucht man nach einer Testung durch externe Dienstleistende, sollte man also vergleichen und in jedem Fall darauf achten, dass Anbietende die gesetzlichen Anforderungen kennen, interpretieren und umsetzen können.

Fazit 

Viele Testverfahren zur digitalen Barrierefreiheit wurden von privaten Anbietern entwickelt. Hier gilt es auf Qualität zu achten. Die Handreichung der Überwachungsstelle des Bundes stellt eine Ausnahme dar und stammt von einer öffentlichen Stelle. Sie dient als Hilfe und Leitfaden für öffentliche Stellen oder private Unternehmen, die digitale Barrierefreiheit umsetzen wollen.

Will man die Testverfahren selbst anwenden, kann man mehrere der in diesem Artikel aufgeführten Testverfahren zu Rate ziehen. So erhält man ein umfänglicheres Bild, da sich Inhalte und Erklärungen der Testverfahren unterscheiden und ergänzen.

Alle Tests nach gesetzlichen Standards haben gemeinsam, dass es eine menschliche Komponente braucht, um die Anforderungen vollständig zu überprüfen. Es gibt bisher keine automatisierte Testung, die den vollen Umfang abdecken kann. Ob dies in Zukunft mit der Unterstützung von künstlicher Intelligenz möglich ist, bleibt abzuwarten.

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