31.07.2024

Selbstvertretung und Leichte Sprache: Mehr Teilhabe und Inklusion für Menschen mit Lernschwierigkeiten

Leichte Sprache und Unterstützte Kommunikation

Selbstvertretung und Leichte Sprache
Foto: Lisa Schiedermaier
Drei Wahlzettel für Selbstvertretungen und Bitte Leichte Sprache Karte

Selbstvertretung und Leichte Sprache

Foto: Lisa Schiedermaier

Die Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Teilhabe und Inklusion in unserer Gesellschaft. Sie ermöglicht es Menschen mit Behinderung, ihre eigenen Interessen zu vertreten, ihre Rechte einzufordern und aktiv an gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen.

Ein zentraler Aspekt dabei ist die Verwendung von Leichter Sprache, die den Zugang zu Informationen und Kommunikation erleichtert und Selbstvertretungen mit Lernschwierigkeiten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit unterstützt.

In diesem Blogartikel möchten wir die Bedeutung der Selbstvertretung und der Leichten Sprache beleuchten und aufzeigen, wie beides zusammen zu einer inklusiveren Gesellschaft beiträgt. Wir möchten die Perspektive von Selbstvertretungen einbinden, indem wir zwei Werkstatträte und zwei Bewohnervertretungen zu diesen Themen befragen. Zudem möchten wir die Besonderheit der Leichten Sprache als Produkt der Selbstvertretungsbewegung von Menschen mit Lernschwierigkeiten hervorheben.

 

Was bedeutet Selbstvertretung?

Selbstvertretung bedeutet, dass Menschen mit Behinderung selbst für ihre Rechte und Bedürfnisse eintreten. Sie übernehmen Verantwortung für ihr eigenes Leben und setzen sich dafür ein, dass ihre Stimmen gehört und respektiert werden.

„Ich bin Bewohnervertretung geworden, um den Menschen in der Wohneinrichtung zu helfen und Fragen zu beantworten.“


Selbstvertretung kann auf individueller Ebene stattfinden, zum Beispiel im Alltag oder bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen. Sie kann aber auch auf politischer Ebene geschehen, etwa durch die Teilnahme an Gremien, Arbeitsgruppen oder politischen Bewegungen.

„Ich bin Werkstattrat geworden, um mitwirken zu können.“


Die Selbstvertretung fördert die aktive Beteiligung und Mitbestimmung von Menschen mit Behinderung. Dadurch können Menschen mit Behinderung dazu beitragen, dass Barrieren abgebaut, Diskriminierung entgegengewirkt und die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft vorangetrieben wird.

Menschen mit Behinderung treten im Rahmen der Selbstvertretung als Experten und Expertinnen ihrer eigenen Lebenswelt auf und sind für Entscheidungsprozesse von großer Bedeutung. Das Agieren als Selbstvertretung führt oftmals zu mehr Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit.

„Die Selbstvertretung ist wichtig, weil man Sachen oder Dinge in dieser Rolle verändern kann, was auch sehr wichtig ist, wenn man diese Rolle hat.“ Zitat eines Werkstattrats


Beispiele für institutionalisierte Selbstvertretungen, die im Gesetz verankert sind, sind Frauenbeauftragte und der Werkstattrat in Werkstätten für Menschen mit Behinderung sowie die Bewohnervertretungen in Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung. 

Menschen mit Lernschwierigkeiten haben genauso das Recht auf Selbstvertretung wie jeder andere auch. Es ist entscheidend, dass wir als Gesellschaft sicherstellen, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten die notwendige Unterstützung erhalten, um selbstbestimmt leben zu können und an Entscheidungen, die sie betreffen, teilzuhaben. Hierfür sollten Inhalte in Leichter Sprache zur Verfügung stehen, damit Selbstvertretungen sich eine eigenständige und unabhängige Meinung über Inhalte bilden können.

„Die Leichte Sprache ist uns als Werkstattrat wichtig, um besser mit Texten arbeiten zu können und um Themen selbstständiger bearbeiten zu können.“

„Ich finde die Leichte Sprache wichtig, weil es vielen Menschen weiterhilft und einige Sachen klarer macht, um Sachen zu verstehen.“

„Ich tue mir sehr schwer beim Lesen und Schreiben. Deshalb ist mir die Leichte Sprache wichtig.“

 

Leichte Sprache: Eine kurze Geschichte der Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten

Um zu verstehen, wo die Wurzeln der Leichten Sprache liegen, was bereits erreicht werden konnte und was noch getan werden muss, um die Leichte Sprache und auch die Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten weiter zu stärken, ist es wichtig, die Geschichte zu kennen.

Anhand der Leichten Sprache lässt sich erkennen, warum Selbstvertretung wichtig für die Gestaltung einer inklusiveren Gesellschaft ist. Während politische Diskussionen um die Barrierefreiheit lange Zeit von baulicher Barrierefreiheit und der Selbstvertretung von Menschen mit körperlicher Behinderung geprägt waren und teilweise bis heute sind, hat uns die Selbstvertretung der Menschen mit Lernschwierigkeiten gelehrt, dass Barrierefreiheit sich nicht darauf beschränken lässt.

Die Leichte Sprache ist ein originäres Produkt der Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten. In den USA entwickelte die „People First“ Bewegung, eine Selbstvertretungsvereinigung von Menschen mit Lernschwierigkeiten, im Jahr 1996 die sogenannte „Easy Read“ als Ursprungsversion der Leichten Sprache.

In Deutschland gründete sich als deutschsprachiges Äquivalent 2001 der Selbstvertretungsverein „Mensch zuerst“, der sich bereits seit den 1990er Jahren für die Gleichstellung von Menschen mit Lernschwierigkeiten einsetzt und somit die Leichte Sprache im deutschsprachigen Raum begründete (vgl. Leichte Sprache – eine neue »Kultur« der Beteiligung|bpb.de  und Was ist Leichte Sprache? | Aktion Mensch).

Heute, 25 Jahre später, ist die Leichte Sprache ein wichtiger Bestandteil der Barrierefreiheit für Menschen mit Lernschwierigkeiten, der nicht zuletzt in Gesetzen verankert ist. Am Beispiel der Leichten Sprache und auch „Easy Read“ lässt sich erkennen, wie wichtig die Forderungen von Selbstvertretungen sind und zu welchen Erfolgen das Engagement von Menschen mit Lernschwierigkeiten bereits geführt hat.

Warum sind Selbstvertretung und Leichte Sprache wichtig?

Die Kombination aus Selbstvertretung und Leichter Sprache schafft einen inklusiven Raum, der es Menschen mit Lernschwierigkeiten ermöglicht, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Die Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten und die Leichte Sprache bewirken in unserer Gesellschaft:

  1. Teilhabe und Mitbestimmung: Selbstvertretung gibt Menschen mit Lernschwierigkeiten die Möglichkeit, ihre Anliegen und Bedürfnisse selbst zu artikulieren und aktiv in Entscheidungsprozesse einzugreifen. Leichte Sprache stellt sicher, dass sie die notwendigen Informationen dafür verstehen und nutzen können.

  2. Abbau von Barrieren: Leichte Sprache hilft dabei, sprachliche und kognitive Barrieren abzubauen. Dadurch wird der Zugang zu wichtigen Informationen, wie rechtlichen Bestimmungen, Bildungsangeboten und Inhalte zur Gesundheitsversorgung, erleichtert.
    Als Selbstvertretung können sich  Menschen mit Lernschwierigkeiten zudem aktiv für den Abbau von Barrieren stark machen und einsetzen und darauf hinweisen, wenn sie Barrieren in ihrem Erleben wahrnehmen.

„Ich habe als Bewohnervertretung den anderen Bewohnern und Bewohnerinnen das Pflegewohnqualitätsgesetz in Leichter Sprache vorgestellt.“

  1. Stärkung des Selbstbewusstseins: Selbstvertretung fördert das Selbstbewusstsein und die Selbstwirksamkeit von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Sie erleben, dass ihre Meinung zählt und sie Einfluss auf ihr Leben und die Gesellschaft nehmen können. Diese Erfahrung ist für Menschen mit Lernschwierigkeiten genauso wichtig wie für alle anderen Menschen.
    Auch die Leichte Sprache kann das Selbstbewusstsein von Menschen mit Lernschwierigkeiten stärken.

„Leichte Sprache ist deswegen für mich wichtig, weil ich viel mehr klarkomme, weil ich viel besser alles verstehe, weil ich viel selbstbewusster geworden bin und weil ich einfach Mut habe.“

  1. Förderung von Inklusion: Eine inklusive Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass alle Menschen, unabhängig von ihren Fähigkeiten, die gleichen Chancen auf Teilhabe haben.
    Leichte Sprache und Selbstvertretung sind wesentliche Aspekte, um diese Inklusion zu verwirklichen.
Bewohnervertretung mit Schild "Nicht über uns ohne uns"
Foto: Lisa Schiedermaier
Bewohnervertretung mit Schild Nicht über uns ohne uns

Bewohnervertretung mit Schild "Nicht über uns ohne uns"

Foto: Lisa Schiedermaier

Die Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten und die Nutzung von Leichter Sprache sind unerlässlich für eine inklusive Gesellschaft. Sie ermöglichen es Menschen mit Lernschwierigkeiten, ihre Rechte wahrzunehmen, Barrieren abzubauen und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Durch die Förderung von Selbstvertretung und die Verbreitung von Leichter Sprache schaffen wir eine Welt, in der alle Menschen, unabhängig von ihren Fähigkeiten, gleichberechtigt und respektiert leben können.

Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen!

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