Macht es klick?
Digitale Barrierefreiheit Leichte Sprache und Unterstützte Kommunikation
Anlass für die CAB-Tagung unter dem Dach der Beratungsstelle Barrierefreiheit zur digitalen, barrierefreien Kommunikation war das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Statt trockener Gesetzgebung stand die Hoffnung im Fokus, dass digitale Barrierefreiheit zur Selbstverständlichkeit wird. Ein Mut machender Tag.

Impressionen der Veranstaltung
Digitale Inklusion wird gesetzlich verpflichtend
„Ohne Sprache möchte ich nicht leben!“
Mit diesen eindringlichen Worten fasste Lilith Fendt, Kommunikationsbotschafterin der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e. V, die Notwendigkeit zusammen, sich mit digitaler barrierefreier Kommunikation auseinanderzusetzen. Sie sprach mithilfe eines Talkers aus, was viele Teilnehmende bewegte: Digitale Kommunikation ist mehr als Technik – sie ist Voraussetzung für Selbstbestimmung, Teilhabe und Würde. Anfang Juni 2025, nur wenige Wochen bevor das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verbindlich in Kraft tritt, fand im Haus St. Ulrich in Augsburg die Tagung „Digitale barrierefreie Kommunikation“ unter dem Motto „Macht es klick?“ statt. Veranstaltet von der CAB Caritas Augsburg Betriebsträger gGmbH in Kooperation mit der Beratungsstelle Barrierefreiheit und dem Programm „Bayern barrierefrei“ der Landesregierung, kamen über 200 Teilnehmende aus Fachpraxis, Politik, Selbstvertretung und Zivilgesellschaft zusammen. Gemeinsam diskutierten sie zentrale Fragen digitaler Inklusion, machten Barrieren sichtbar und entwickelten konkrete Lösungsansätze – passend zu einem Zeitpunkt, an dem digitale Barrierefreiheit gesetzlich zur Pflicht wird.
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Schriftdolmetscherinnen verschriftlichten simultan das gesprochene Wort
Politik mit Haltung: Weckruf zur gemeinsamen Verantwortung
Zum Auftakt begrüßte Ulrike Scharf, Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, die Anwesenden per Videobotschaft. Sie hob hervor, dass digitale Barrierefreiheit gelebte Inklusion im Alltag bedeutet – beispielsweise, wenn eine Schülerin mühelos eine Stadtbibliotheksseite in einfacher Sprache nutzen kann. Ihr Appell: Barrierefreiheit sei ein Auftrag an die Gesellschaft, Vertrauen zu stärken, Teilhabe zu ermöglichen und Zukunft zu gestalten. Dr. Jörg Heiler, Vorstandskooperator der Beratungsstelle Barrierefreiheit und Vorstand der Bayerischen Architektenkammer, betonte anschließend, dass digitale Barrierefreiheit mehr sei als technisches Know-how – sie sei eine Frage der Haltung. Digitale Angebote müssten nicht nur existieren, sondern auch für alle verständlich sein. Digitale Teilhabe sei ein Grundrecht – unabhängig von Alter, Sprache oder Einschränkung.
Sonja Schoenberner, Geschäftsführerin der CAB Caritas Augsburg Betriebsträger gGmbH, verwies auf die Notwendigkeit, digitale Kompetenzen in Einrichtungen der Eingliederungshilfe gezielt zu fördern – damit niemand durch mangelnden Zugang oder Verständnis ausgeschlossen werde. Gerade deshalb sei es essenziell, digitale Barrierefreiheit als gemeinsame Aufgabe zu begreifen – in Politik, Praxis und Gesellschaft.
Ina Jacobs, Beraterin und Dozentin für Unterstützte Kommunikation, und Lisa Schiedermaier, zertifizierte Übersetzerin und Dozentin für Leichte Sprache, eröffneten die Tagung gemeinsam. Der Auftakt war bewusst multiperspektivisch gestaltet: Fachleute aus Praxis und Politik, aus der IT sowie aus der Beratungsarbeit kamen zu Wort. Besonders eindrucksvoll waren die Beiträge von Selbstvertretern und -vertreterinnen, die von ihren persönlichen Erfahrungen berichteten. Lilith Fendt schilderte, wie sie mithilfe von Partner-Scanning kommuniziert. Ihr Wunsch nach intuitiver, gedankenbasierter Kommunikationstechnologie unterstrich die Notwendigkeit barrierefreier Innovation. Maria Hütter-Songailo, Prüferin für Leichte Sprache bei der CAB Caritas Augsburg, betonte, dass Sprache oft eine unsichtbare Barriere darstellt. Sie forderte mehr Inhalte in einfacher und Leichter Sprache sowie digitale Werkzeuge, die auch für Menschen mit Mehrfachbehinderung, beispielsweise Lernschwierigkeiten und einer Sehbehinderung, zugänglich sind. Wolfgang Mörtl, Tester für digitale Barrierefreiheit bei der Stiftung Pfennigparade, gab Einblicke in Usability-Tests aus Sicht von Menschen mit Behinderung. Nur wer Barrieren selbst erlebt habe, könne valide Rückmeldungen geben – ein Plädoyer für Selbstvertretung als Standard.
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Keyvisual der Veranstaltung „Macht es klick?“
Schlüsselthemen: Praxisnahe Perspektiven von KI bis Soziale Arbeit
In sechs praxisnahen Workshops wurden zentrale Aspekte digitaler Barrierefreiheit beleuchtet. Unter dem Titel „KI und Leichte Sprache“ diskutierten Fachleute und Menschen mit Behinderung, wie Künstliche Intelligenz sinnvoll in Übersetzungsprozesse eingebunden werden kann – ergänzt durch menschliche Prüfung. Der Workshop „Digitale Barrierefreiheit durch Unterstützte Kommunikation und Assistenztechnologien“ zeigte, wie individuell anpassbare Tools digitale Teilhabe ermöglichen. In „Barrierebrecher – Wie können sich Menschen mit Behinderung auf Social Media präsentieren?“ wurde anhand erfolgreicher Praxis erarbeitet, wie inklusive Öffentlichkeitsarbeit gelingen kann. „Digital barrierefrei – Worauf muss ich als Gestalter oder Redakteurin achten?“ thematisierte barrierefreie Sprache, Struktur und Web-Gestaltung. Der Workshop „Warum ist digitale Barrierefreiheit wichtig?“ stellte sich der Diskussion, welche Personengruppen unter welchen Voraussetzungen von digitaler Barrierefreiheit profitieren. Abschließend zeigte „Wie kann Soziale Arbeit digitale Teilhabe ermöglichen?“, welche Rolle Fachkräfte beim digitalen Empowerment spielen. Die Arbeitsgruppen machten deutlich, dass technische Lösungen und Gesetzgebungen allein nicht ausreichen. Es braucht Austausch, Schulung und politische Rückendeckung – aber auch Raum für kreative, nutzerzentrierte Ansätze.
Barrierefreiheit braucht Beteiligung
Im Podium am Nachmittag diskutierten Expertinnen und Experten aus Selbstvertretung, Verwaltung, Sozialwirtschaft, wie z.B. aus der Eingliederungshilfe, Digitalbranche und Politik über Herausforderungen und Gelingensbedingungen digitaler barrierefreier Kommunikation. Holger Kiesel, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, warnte vor der Illusion, der digitale Raum sei automatisch barrierefrei. Vielmehr müsse er aktiv partizipativ gestaltet werden – mit echten Beteiligungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung. Sonja Schumacher, UX-Designerin bei der Digitalagentur TEAM23, betonte, dass gesetzliche Konformität nicht genüge: Nur nutzerzentrierte, verständliche und erlebbare Gestaltung führe zu echter Barrierefreiheit. Brita Lange, Leiterin des Referats für Barrierefreiheit im Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, machte deutlich, dass barrierefreie Kommunikation nicht nur Teilhabe ermöglicht, sondern auch demokratische Legitimation sichert. Fehlende Zugänglichkeit führe dazu, dass politische Botschaften nicht ankommen – und alternative, populistische Inhalte Raum gewinnen. Sie verwies auf die Fortschritte im Programm „Bayern barrierefrei“ sowie auf neue, vorbildhafte Angebote wie „einfach-finden.bayern.de“. Bewusstseinsbildung müsse immer in Kooperation mit Betroffenen geschehen. Holger Kiesel ergänzte: Inklusion, Barrierefreiheit und Teilhabe müssten zu krisenfesten Grundwerten einer demokratischen Gesellschaft gehören – beginnend beim Staat, getragen über die Kommunen und umgesetzt bis in private Unternehmen.
Horizonte öffnen, Zukunft gestalten
Das Schlusswort hatte Lilith Fendt:
„Wir behinderten Menschen sollten endlich mitten in der Gesellschaft ankommen. Dann werden wir auch nicht mehr übersehen.“
Ein bewegender Appell an diesem inhaltsreichen Tag, an dem sehr deutlich wurde: Digitale barrierefreie Kommunikation ist kein „Nice-to-have“, sondern Voraussetzung für Teilhabe, Gerechtigkeit und Zusammenhalt – heute und in Zukunft. Ein besonderes Highlight bildete ein musikalischer Beitrag: Eine Gebärdensprachdolmetscherin interpretierte live einen per Künstlicher Intelligenz generierten Song, der zentrale Begriffe und Botschaften der Tagung künstlerisch zusammenfasste. Der Songtitel „Jetzt macht es klick!“ war ein berührender Schlusspunkt für einen Tag, der Mut machte – zum Zuhören, Verstehen, Gestalten. Damit digitale Barrierefreiheit nicht Ausnahme bleibt, sondern Selbstverständlichkeit wird.
Text: Bettina Sigmund