18.11.2024

Barrierefreie Zukunft für alle

Digitale Barrierefreiheit Planen und Bauen Leichte Sprache und Unterstützte Kommunikation Soziale Fragen & Förderungen

Seit 40 Jahren unterstützt die Beratungsstelle Barrierefreiheit den Abbau von Barrieren in Gebäuden und im Stadtraum. Viele Menschen mit und ohne Einschränkungen bringen ihre Expertise für eine inklusive Zukunftsvision ein. Vieles hat sich bewegt, vieles muss für die Zukunft noch verhandelt werden.

Das Team der Beratungsstelle Barrierefreiheit mit einigen Beraterinnen und Beratern sowie den Referentinnen und Referenten der Jubiläumsveranstaltung.
Gruppenbild

Das Team der Beratungsstelle Barrierefreiheit mit einigen Beraterinnen und Beratern sowie den Referentinnen und Referenten der Jubiläumsveranstaltung.

Foto: Johannes Müller

„Was war 1984 die Motivation, die Beratungsstelle Barrierefreiheit der Bayerischen Architektenkammer zu gründen?“

fragt Moderator Norbert Hufgard die Teilnehmer der Jubiläumsveranstaltung. Er bekommt nicht eine Antwort, sondern viele. Denn Motivation und Engagement, Leidenschaft und das klare Ziel einer barrierefreien Gesellschaft bringen alle mit, die mit der Bayerischen Architektenkammer das 40-jährige Bestehen der Beratungsstelle feiern.

Dazu gibt es auch allen Grund:

„Barrierefreiheit ist kein Automatismus. Sie ist ein Querschnittsthema, das nicht nur bauliche Aspekte umfasst. Sie sorgt dafür, dass Dienstleistungen entstehen und Infrastrukturen für Menschen – mit und ohne Einschränkungen – nutzbar werden. Sie ist eine Grundlage unserer Gesellschaft für ein selbstbestimmtes Leben und eine uneingeschränkte Teilhabe“,

hebt Prof. Lydia Haak, Präsidentin der ByAK, in ihrem Grußwort hervor. Und weiter: „Inklusion und Vielfalt sind zentrale Pfeiler unserer Gesellschaft. Ohne geht es nicht. Sie fördern Zusammenhalt und Gemeinsinn und sind Teil unserer Zukunftsfähigkeit. Ein tiefes Verständnis von Barrierefreiheit ist entscheidend für Akzeptanz, für ein gutes Miteinander und Grundlage für eine gerechte und optimistische Gesellschaft.“

Prof. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer
Eine Person steht am Rednerpult, davor sitzen zwei Gebärdensprachdolmetscher

Prof. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer

Foto: Johannes Müller

Dafür hat das interdisziplinäre Beraterteam in den letzten 40 Jahren mehr als 90.000 Beratungsgespräche geführt. Anfangs mit vier, heute mit 20 Expertinnen und Experten. Aus ursprünglich zwei Standorten in München und Nürnberg sind inzwischen 18 geworden. Das jährliche Beratungsvolumen liegt bei 3.000 Stunden.

„Die Fördermittel des Freistaats Bayern sind von 18.000 DM im Jahr 1984 auf mittlerweile eine Million Euro gestiegen“,

berichtet Ulrike Scharf, Staatsministerin im Bayerischen Ministerium für Familie, Arbeit und Soziales. Die Staatsregierung verfolge damit„das klare Ziel, eine lebenswerte und inklusive Heimat zu gestalten“. Sie lobt die Arbeit der Beratungsstelle:

„Teilhabe, Vielfalt und Inklusion – diese Werte haben Sie in den vergangenen vier Jahrzehnten hochgehalten und werden es auch in Zukunft tun. Das ist wichtig und wertvoll für unsere Gesellschaft, denn Heimat baut auf Gebäuden und Gedanken auf! Beides stiftet Gemeinschaft!"

Staatsministerin Ulrike Scharf
Eine Person steht am Rednerpult

Staatsministerin Ulrike Scharf

Foto: Johannes Müller

Holger Kiesel, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, hebt das Engagement Einzelner hervor:

„Die Expertinnen und Experten der Beratungsstelle stehen allen, die mit barrierefreiem Planen und Bauen zu tun haben, zur Seite. Die Beratungsstelle ist eine wichtige Anlaufstelle für Planende, Bauherrinnen und Bauherren, aber auch für meine kommunalen Kolleginnen und Kollegen, die die Barrierefreiheit von neuen Bauvorhaben beurteilen müssen, für alle, die sich mit diesem äußerst komplexen Thema beschäftigen - und manchmal auch damit kämpfen“.

Umfangreich sei diese Aufgabe vor allem deshalb, weil das Spektrum der Barrierefreiheit in den letzten Jahren immer facettenreicher geworden ist.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer hören die Vorträge.

Foto: Johannes Müller

Prof. Dr. Laura Bechthold, Zukunftsforscherin für neue Technologien und Gesellschaft an der Technischen Hochschule Ingolstadt, stellt dieses Aufgabenspektrum in den größeren Kontext der Zukunftsentwicklung. Sie fordert eine „Zukunft für alle“, in der „Ressourcen verantwortungsvoll genutzt werden, die inklusiv alle einbezieht, die Diversität in all ihren Facetten und dem gesamten Spektrum berücksichtigt, die offen für andere und offen für Veränderungen ist“. Die zukünftige Entwicklung werde von Megatrends wie dem Klimawandel und technologischen Entwicklungen geprägt sein,

„aber was wir daraus machen, liegt in unserer Hand! Wir haben einen großen Gestaltungsspielraum und die Chance, die Weichen für eine inklusive Gesellschaft zu stellen. Wir sind nicht machtlos, sondern können selbst entscheiden, wie – innerhalb der Rahmenbedingungen – unsere Zukunft für alle aussehen soll“.

Es gibt nicht die eine Zukunft, sondern viele individuelle Zukünfte mit gleich wahrscheinlichen Möglichkeiten, jeweils geprägt von einem Fundament aus Annahmen, die auf Erfahrungen und Lebensläufen, Kultur, Werten und Überzeugungen, Daten und Fakten und natürlich unseren Wünschen beruhen. „Wenn wir über die Zukunft für eine inklusive und barrierefreie Gesellschaft von morgen sprechen, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir über ein abstraktes Modell sprechen, das wir aber gestalten können. Die Zukunft wird immer verhandelt. Es kommt also darauf an, wer die Entscheidungsträger sind und wer mit am Verhandlungstisch sitzt.“ Laura Bechthold sieht in diesem Zusammenhang die Superdiversität, ein sozialwissenschaftliches Konzept des amerikanischen Soziologen Steven Vertovec, als prägenden Aspekt der Zukunft. Der Begriff setzt sich mit unserer heutigen, noch sehr engen Definition von Diversität auseinander, die noch in Kategorien denkt. „Aber so funktioniert Diversität nicht! Jeder Mensch ist eine Überlagerung vieler Komponenten und irgendwo auf einem Spektrum von sozioökonomischem Hintergrund, Herkunftsland, kultureller Prägung, körperlichen und kognitiven Fähigkeiten, Geschlechtsidentität, Alter etc. angesiedelt.“ Die Forschung zeige, dass Vielfalt zu neuen Antworten führe, dass diverse Teams kreativer seien und neue Ideen fänden. Und genau diese neuen Ansätze brauche es, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Dazu müsse „Future Literacy“ – die Kompetenz, die Zukunft zu gestalten – stärker gefördert werden. Wir müssen lernen, Chancen zu erkennen, Dialoge über mögliche Zukünfte zu führen, diese zu gestalten und zu verhandeln.

„Mit der Digitalisierung haben wir aktuell die Chance, neue Räume zu gestalten und wir müssen ganz bewusst an der Verteilungsgerechtigkeit arbeiten. Hier spielt die Beratungsstelle Barrierefreiheit eine zentrale Rolle, um eine vielfältige, inklusive und barrierefreie Gesellschaft zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen.“

Der Raum ist gefüllt mit den Gästen der Tagung. Im Hintergrund sieht man eine große Leinwand.

Foto: Johannes Müller

Dieser Dialog wurde direkt vor Ort in interdisziplinären Gesprächsrunden geführt: Berater Markus Donhauser wünscht sich:

„Barrierefreiheit sollte ein integraler Bestandteil der Baukultur sein. Natürlich muss Barrierefreiheit in erster Linie ihre Funktion erfüllen. Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sie uns alle - auch jene, die keine Einschränkungen haben - nur dann mitnimmt, wenn sie sich als Teil der Baukultur versteht“.

Dennis Bruder ist Experte und Berater für Digitale Barrierefreiheit. Er ist aber auch Elektrorollstuhlfahrer und selbst Betroffener.

„Barrierefreiheit erleichtert mir jeden Tag das Leben“,

sowohl die bauliche Barrierefreiheit als auch die technologische Entwicklung im digitalen Raum. Für die Weiterentwicklung der barrierefreien Kommunikation wünscht er sich - auch im Bereich Social Media - eine stärkere Einbindung von Menschen mit Einschränkungen und eine Stärkung ihrer Positionen. Nicht die Kommunikation über, sondern mit den Betroffenen sei wichtig. Die Zusammenarbeit der heterogenen Teams in der Beratungsstelle, die die Expertise von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit körperlichen und kognitiven Einschränkungen einbezieht, begrüßt er daher sehr. Christoph Götz arbeitet dort als Berater für Leichte Sprache und Unterstützte Kommunikation. Der zertifizierte Übersetzer für Leichte Sprache sieht es als elementaren Bestandteil von Teilhabe an, Informationen so zu vermitteln, dass sie für alle verständlich sind. Unterstützte Kommunikation ist für ihn sogar

"ein Menschenrecht! Denn wir kommunizieren immer. Es ist unmöglich, nicht zu kommunizieren“.

Entsprechende Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, weiterzuentwickeln und den Betroffenen zu ermöglichen, sie zu nutzen, sieht er als wichtigen Bestandteil barrierefreier Kommunikation.  

Von links nach rechts: Markus Donhauser, Dennis Bruder, Norbert Hufgard und Christoph Götz
Podiumsdiskussion

Von links nach rechts: Markus Donhauser, Dennis Bruder, Norbert Hufgard und Christoph Götz

Foto: Johannes Müller

Die Beratungsstelle Barrierefreiheit arbeitet seit nunmehr 40 Jahren erfolgreich an einer inklusiven Zukunft – analog und digital, baulich und gesellschaftlich – und wird dies auch in den kommenden Jahrzehnten mit der gleichen Leidenschaft tun.

 

Kontakt zu einer Beraterin oder einem Berater aufnehmen:

https://www.beratungsstelle-barrierefreiheit.de/beratungsthemen.html

Text: Bettina Sigmund

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