01.09.2024

09/2024 Neues Symposium "Material Exchange"

Klimaschutz

Foto: Foto: Evi Lemberger

Baumaterialien im Kontext der Klimakrise

Durch die Auswirkungen der Klimakrise stehen Planende vor einem der größten Umbrüche seit der Massenproduktion in der Baubranche. Langjährige und etablierte Praktiken müssen hinterfragt und neu gedacht werden. Die Diskussion zur Bauwende wirft zahlreiche Fragen auf, die weder allgemeingültig noch abschließend beantwortet werden können. Sicher ist, dass es neuer Praktiken bedarf, um einen klimagerechten Beitrag zu leisten.

Ressourcenknappheit und hohe Emissionsbelastungen

Forschung und Praxis haben diesbezüglich in den letzten Jahren vielversprechende Strategien entwickelt. Es wird unter Hochdruck daran gearbeitet, vermehrt biobasierte Baustoffe und nachwachsende Rohstoffe in die Bauprozesse zu integrieren. Die erfolgreiche Umsetzung der Bauwende wird vor allem durch die Etablierung einer Umbaukultur entschieden werden. Bestandsbauten weisen einen hohen Anteil an emissionsintensiven Materialen auf. Aus diesem Grund müssen klimagerechte Strategien für die Planung angewandt werden. Stahl ist durch die Produktionsprozesse sehr CO2-intensiv. Um die Ökobilanz zu verbessern, muss der Anteil erneuerbarer Energien gesteigert und Material wiederverwendet werden.

Das Symposium "Material Exchange" des 2022 gegründeten Lehrstuhls für "Architecture und Construction" von Prof. Jeannette Kuo ging der Frage nach zukunftsorientiertem Planen mit Stahl nach. In der ersten Veranstaltungsreihe wurden die Potenziale des Materials Stahl besprochen. Seit 2022 setzt sich Prof. Jeannette Kuo (Karamuk Kuo, Zürich) mit ihrem Team und den Studierenden mit der Geschichte und dem Bauen mit Stahl auseinander. Sie lehrt und forscht an der Schnittstelle von Architektur und Konstruktion.

Warum wird über das Bauen mit Stahl gesprochen?

Kein anderes Material wird so viel recycelt wie Stahl. Es ist in sehr vielen Bestandsgebäuden verbaut, denn Stahl revolutionierte die Architektur im 20. Jahrhundert. Planenden wurden damit neue Gestaltungsräume in Dimensionierung, Präzision und Komplexität eröffnet. Bis heute nimmt Stahl beim Bauen eine elementare Rolle ein, denn er weißt einige Materialeigenschaften auf, die bis heute von keinem anderen Material gänzlich ersetzt werden können. In Hinsicht auf klimagerechtes Bauen werden gängig genutzte Baustoffe allerdings zunehmend auf den Prüfstand gestellt. Das betrifft auch den Stahl, denn er ist ein emissionsintensives Material.

Themen des Symposiums

In den vier Themenblöcken "Dynamische Strukturen, Modularität, Kreislaufwirtschaft und hybride Systeme" diskutierten Jeannette Kuo und Axel Chevrolet mit den Referierende über das Bauen mit Stahl. Das Engagement ist hoch. Mit dem Einsatz von durchdachten Techniken, Verbindungen und Dimensionierungen kann Stahl trotz seines kritischen CO2-Fußabdrucks als zukunftsorientiertes Material genutzt werden.

Dynamische Strukturen – anpassungsfähig und zeiteffizient

Im ersten Panel "Dynamische Strukturen" sprachen Gustav Düsing (Gustav Düsing Architekten, Berlin) Jürg Graser (Graser Troxler Architekten, Zürich) und Stéphanie Bru (bruther, Paris/Zürich). In ihren Projekten Studierendenhaus Braunschweig (Stahl/Holz), Wohnhaus Herbstweg (Stahl/Beton/Holz) und dem Kulturzentrum in Caen (Stahl/Kunststoff/Beton) zeigten die Architekten und Architektinnen auf, wie der Einsatz von Stahl-Leichtbauten Flexibilität schafft. Die Konstruktion prägt das Raumerlebnis, sowohl in öffentlichen Gebäuden als auch im Wohnungsbau. Stahl wird derzeit vor allem bei öffentlichen und industriellen Gebäuden eingesetzt. Aber auch bei kleineren Wohnbauten kann Stahl eine kluge Wahl sein. Durch die Vorfertigung und Vereinheitlichung der Stahlprofile kann die Bauzeit verkürzt und das Fehlerpotenzial reduziert werden.

Dynamische Strukturen mit Stahl haben ein großes Potenzial im Wohnungsbau, da die flexible Anpassung der Räume auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Lebensphasen und -modelle reagieren kann. Jürg Graser zeigte anhand des Beispiels Wohnhaus Herbstweg auf, wie sich Stahl in Kombination mit Holz und Beton flexibel und brandschutzkonfrom nutzen lassen kann. Die Beispiele des Studierendenhauses und des Kulturzentrums veranschaulichten die Anpassbarkeit des Stahlrasters und die daraus resultierenden Raumpotentiale.

Gustav Düsing betonte ebenfalls die notwendige Anpassung der Normen und Auflagen, um zukunftsorientiert bauen zu können. Der Bau des temporären Gebäudes habe den Beteiligten einige Freiheiten zugestanden. Die Referierenden brachten ihren Wunsch zum Ausdruck, dass die baulichen Regelwerke für mehr Freiraum und Innovationen beim Planen angepasst werden sollten.  

Modulare Bausysteme – Prozesse revolutionieren

Im zweiten Themenblock stellten Lucio Baldini (Werner Sobek und Universität Stuttgart), Georg Vrachliotis (TU Delft) und Inés Ariza (ETH Zürich) ihre Projekt- und Forschungerkenntnisse zur Modularität vor. Modulare Architektur bietet die Möglichkeiten, Baukosten zu senken, Zeit zu sparen und Anschlüsse einfacher zu gestalten.

Lucio Baldini zufolge, kann die Nutzung von künstlicher Intelligenz und Open Data dabei helfen, die Systeme weiterzuentwickeln.
Georg Vrachliotis wies auf das Potenzial von systematischen Ansätzen anhand des Beispiels des Stahlbauverfahrens von Fritz Haller hin. Dieser hatte sich bereits in den 1980er-Jahren mit den Anfängen der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz beschäftigt. Der Ansatz basierte auf der Haltung, dass Architektur anpassbar gestaltet sein muss und sie spiegelt sich in der aktuellen Diskussion der Bauwende wider. Inés Ariza sprach über den Einsatz von Baurobotik bei der Herstellung von Stahl. Durch die Anpassung des Materials mit additiven Verbindungen lassen sich Montagetoleranzen ausgleichen. Außerdem soll eine Flexibilität in den Eigenschaften der Stahlteile in verschiedenen Planungs- und Konstruktionsstadien generiert werden. Die Leistungen des Stahls können somit verbessert und passgenau nach Bedarf konstruiert, die Effizienz gesteigert und der Verbrauch gesenkt werden.

Zirkularität – Wertschätzung des Bestands

Stahl ist ein viel verbautes Material. Trotz seiner Beständigkeit werden zahlreiche Bauten abgerissen und das anfallende Material verschrottet, ohne einen Umbau oder eine Weiternutzung in Erwägung zu ziehen. Diese Haltung muss angemahnt und dringend korrigiert werden. Die Ökobilanz wird bei einem Abriss zusätzlich belastet, da die Herstellung von Stahl bereits sehr emissionsintensiv ist. Die Bilanz wird weiter verschlechtert, wenn das Material nicht in den Materialkreislauf zurückgeführt wird. Um dem entgegenzuwirken, müssen Prozesse in der Praxis etabliert werden, die das Material auf seine Eignung prüfen und anpassbar zu machen.

Im dritten Panel Zirkularität sprachen Prof. Dr. Magdalena Speicher (Hochschule Kempten), Prof. Dr. Andreas Putz (TU München) und Prof. Jan De Vylder (Zürich/Gent). Die Referierenden sprachen sich für eine größere Würdigung des Bestandes aus. Am Beispiel von Rouge Ekkehard Fahrs spätem Anbau an den Münchner Hauptbahnhof zeigte Prof. Dr. Putz ein Beispiel auf, das trotz seines guten baulichen Zustands abgerissen wurde. In Anbetracht der Auswirkungen des Klimwandels und der einhergehenden Ressourcenknappheit kann man sich diese Wegwerfmentalität in Hinsicht auf Architektur kaum leisten. Vielmehr sollte man die bestehenden Strukturen erhalten und den Bedürfnissen anpassen.

Prof. Dr. Magdalena Speicher forscht zu Methoden, die es ermöglichen, bereits genutztes Material wiederzuverwenden. Beim Recyceln von Stahl muss sowohl die Leistungsfähigkeit gewährleistet als auch der Schutz vor Korrosion bedacht werden. Bei über 2500 Arten von Stahl müssen unterschiedliche Parameter und Tests beachtet werden, um einen zirkulären Einsatz zu ermöglichen.

Prof. Jan De Vylder (Jan De Vylder Inge Vinck) sprach über den Zusammenhang von Zirkularität und Farbe im Stahlbau. Farbe kann im beim Bauen mit Stahl vielseitig angewendet werden. Sie kann sowohl gestaltendes Element als auch Schutzschicht sein.

Hybride Systeme – Materialeigenschaften kombinieren, um neues zu erreichen

Im vierten Panel sprachen die Referierenden Yasmin Vobis (Berkeley), Matthias Eisele (Merz Kley tragwerksplanung), Marvin Vollbracht, (Peikko) und Momoyo Kaijima (Atelier Bow-Wow, ETH Zürich) über die Potenziale hybrider Systeme in verschiedenen Maßstäben. Die Bauweise ermöglicht die Verwendung eines reduzierten Stahlanteils. Außerdem können in Kombinationen mit anderen Materialien neue Vorteile erreicht werden.

Matthias Eisele zeigte auf, wie sich durch hybride Materialsysteme eine größere Auswahl an Verbindungen und konstruktiven Knotenpunken umsetzen lässt. Der Stahlanteil ermöglicht eine größere Variation. Das Holz kann in Kombination die Leistung von Stahl im Brandschutz verbessern.

Im Forschungsprojekt "Heterogeneous Constructions" von Yasmin Vobis stellte sie ihre Erkenntnisse aus der Geschichte und Anwendung hybrider Systeme vor. Durch technische und rechtliche Auflagen ist es für Planende oft einfacher mit homogenen Systemen zu bauen. Der Status Quo, bei den Materialien separate Funktionen zugeschrieben werden, sollte in Hinsicht auf die Materialverfügbarkeit hinterfragt werden. Materialheterogenität kann durch die Anpassung der Baustandards und technischer Verfahren unterstützt werden. Stahl ist besonders prädestiniert für hybride Systeme, da er sich vielfältig kombinieren lässt.

Marvin Vollbracht stellte die Produkte des Unternehmens Peikko vor, das sich auf demontierbare Verbindungen spezialisiert hat. Durch vorgefertigte, schlanke Systeme können sowohl Bauzeit als auch Energiekosten eingespart werden. Die Verbindung mit Holz ermöglicht eine Senkung der CO2-Emissionen.

Prof. Momoyo Kaijima zeigte auf, wie das Atelier Bow-Wow in Japan kleine Grundstücke optimal mit der Anwendung von hybriden Systemen flächentechnisch ausnutzt. Der Einsatz von Holz-Stahl-Kombinationen ermöglicht sowohl eine flexible Formgebung als auch die Schaffung einer besonderen und wohnlichen Atmosphäre. Die Entscheidungen der Dimensionierungen sind ortsspezifisch und basieren auf dem Verhalten der Eigenschaften der Materialen und Konstruktionsmethoden.

Durch den interdisziplinären und internationalen Austausch der Referierenden war das Symposium besonders bereichernd. Um klimagerechtes Bauen breitflächig zu ermöglichen, müssen vorab die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen für Planende geschaffen werden. Zudem sollten die Normen für den Einsatz von hybriden Systemen und recyceltem Stahl zeitgemäß für ein ressourcenbewussten Bauen angepasst werden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit sollte mehr gefördert werden. Für die Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen in Deutschland kann der hier angebotene der Blick nach Belgien, Japan, Frankreich oder die Schweiz ein Denkanstoß sein. Denn trotz zahlreicher Bauvorschriften ist es möglich, nachhaltiges Bauen durch entspreche Gesetzgebung zu unterstützen. 

Kontakt Material Exchange: Laura Brixel und Valentin Giorgio Martin

mail@remove-this.material-x.com

Weiterführende Links

Link zur Seite des Symposiums

Autorin: Sophie Ziemer

 

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