01.06.2025

06/2025 Verwitterung naturbelassener Holzfassaden als Chance

Planen und Bauen

Collage aus Fotos mit verschiedenen Holzfassaden

Foto: Abb. 1: Naturbelassene Holzfassaden, Auszug aus Abb. 144 und 145, Holzarchitektur der Gegenwart, M. Kohaus, 2025

Naturbelassene Holzfassaden verändern ihre Farbigkeit und Oberflächenstruktur abhängig von der Intensität der klimatischen Einflüsse, die wiederum von der Ausrichtung der Fassade, ihrer Detailausbildung sowie Art der Verlegung und Materialität beeinflusst werden (Abb. 2)

Die bei Architektinnen und Architekten beliebte "silbergraue Verfärbung" ist jedoch nur einer von vielen Verwitterungseffekten, die an naturbelassenen Holzfassaden zu beobachten sind. In den ersten vier bis fünf Jahren sind die im Laufe der Zeit stark unterschiedlichen Veränderungen optisch am deutlichsten wahrnehmbar. Um die Fassaden von Beginn an homogener erscheinen zu lassen, werden häufig "Vorvergrauungslasuren" verwendet, die die Verwitterungseffekte zunächst verdecken. Die oft in den Lasuren eingesetzten Biozide gegen Schimmel- und holzverfärbende Pilze werden jedoch mit der Zeit durch Auswaschung freigesetzt und gelangen so in die Umwelt, wo sie Organismen schädigen. 

Verwitterung als Gestaltungselement statt Makel

Die hier vorgestellte Forschungsarbeit geht der Frage nach, ob Planende die unterschiedlichen Verwitterungsphänomene bei naturbelassenen Holzfassaden – statt diese zu "kaschieren" – als Chance begreifen und mit dem Wissen über ihre Entstehung als gestaltprägende Elemente bereits im Entwurfsprozess bewusst berücksichtigen sollten. Denn natürlich wirft der durch den Verwitterungsprozess veränderte architektonische Ausdruck die Frage auf, inwiefern der Wandel, der bei den hier gezeigten Beispielen nach 11–12 Jahren nach Fertigstellung eingetreten ist, denn auch dem intendierten Entwurfskonzept entspricht (Abb. 3).

Abb. 2: Überblick über die unterschiedlichen Einflussfaktoren auf den Verwitterungsprozess, Quelle: Abb. 39, S. 59, Holzarchitektur der Gegenwart, Maren Kohaus, 2025

Abb. 2: Überblick über die unterschiedlichen Einflussfaktoren auf den Verwitterungsprozess, Quelle: Abb. 39, S. 59, Holzarchitektur der Gegenwart, Maren Kohaus, 2025

Abb. 3: Veränderung des architektonischen Ausdrucks durch die Bewitterung, nach 11–12 Jahren; bei Vertikalschalung (Lärche) (links); Horizontal-/Vertikalschalung (Lärche), mittig; Schindelung (Lärche), rechts

Abb. 3: Veränderung des architektonischen Ausdrucks durch die Bewitterung, nach 11–12 Jahren; bei Vertikalschalung (Lärche) (links); Horizontal-/Vertikalschalung (Lärche), mittig; Schindelung (Lärche), rechts

Im Rahmen der Forschungsarbeit wurde die Verwitterung von naturbelassenen Holzfassaden an ca. 80 zeitgenössischen Gebäuden daraufhin untersucht, ob und auf welche Weise sich durch die unterschiedlichen Verwitterungsphänomene der architektonische Ausdruck verändert und wie Planende bestimmte Verwitterungsphänomene bereits im Entwurfskonzept berücksichtigen können.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Aussage "Holz vergraut" in dieser Pauschalität zu kurz greift. Vielmehr ist die Entstehung und das Zusammenspiel der vielfältigen, auf den drei unterschiedlichen maßstäblichen Ebenen (Material-/Bekleidungsebene, Fassaden-/ Bauteilebene, Gebäudeebene) auftretenden Verwitterungsphänomene (wie auch deren Wirkungsrelevanz für den architektonischen Ausdruck) komplex und vielschichtig.

Orientierung für den Entwurfsprozess

Im Sinne eines "Verwitterungsatlas" sollen die konzipiertenProjektdatenblätter den Planenden daher in die Lage versetzen, durch die Bandbreite der dokumentierten unterschiedlichen Verwitterungsphänomene und die u.a. mittels Vergleichsfotos dargestellte Veränderung des architektonischen Ausdrucks eine differenziertere eigene Haltung zur Verwitterung zu entwickeln. Zu diesem Zweck werden die Verwitterungsphänomene auf den drei zuvor genannten maßstäblichen Ebenen kategorisiert und ihre Potenziale sowie ihre Wirkungsrelevanz für den architektonischen Ausdruck hervorgehoben.

Die von der Verfasserin im Rahmen dieser Arbeit entwickelten entwurfsunterstützenden "Bausteine" für die Praxis zeigen (Gestaltungs-)Möglichkeiten auf, wie die vielfältigen Verwitterungsphänomene auf den unterschiedlichen maßstäblichen Ebenen im Entwurfskonzept bewusst eingesetzt und ihre Potenziale als Chance begriffen und genutzt werden können.

Abb. 4: Beispiel vom Verwitterungsphänomen "Farbverläufe" an naturbelassenen Holzbekleidungen auf den unterschiedlichen maßstäblichen Ebenen, Quelle: Projektdatenblätter, Holzarchitektur der Gegenwart, Maren Kohaus, 2025

Abb. 4: Beispiel vom Verwitterungsphänomen "Farbverläufe" an naturbelassenen Holzbekleidungen auf den unterschiedlichen maßstäblichen Ebenen, Quelle: Projektdatenblätter, Holzarchitektur der Gegenwart, Maren Kohaus, 2025

Entwurfsstrategien für den bewussten Umgang mit Verwitterung

Mit folgenden drei Strategien lassen sich die Verwitterungsphänomene einer naturbelassenen Holzfassade im Rahmen des Entwurfskonzepts integrieren. Sie alle lassen sich unterschiedlich stark kontrollieren.

  1. durch eine Planung, die die sich im Laufe der Zeit verändernden optischen Ordnungshierarchien im Vorfeld schon prognostiziert und berücksichtigt, und somit den veränderten architektonischen Ausdruck als Chance und die Verwitterungsphänomene als gestalterisches Mittel begreift und ihre Wirkung so genau wie möglich definiert. Beispielsweise steht zunächst das klare, einfarbig-beige Volumen mit präzise gesetzten Öffnungen im Vordergrund, später dann die skulpturale Wirkung des Gebäudes mit "übereck-geführten" beigen Rändern; oder die Dreidimensionalität der Fassade mit ihren Licht-Schatten-Effekten wird durch die unterschiedlichen Farbigkeiten der Verwitterung noch deutlicher betont.
  2. durch die Planung von konstant bleibenden Ordnungssystemen, sodass sich die Ordnungshierarchien durch die Verwitterungsphänomene selbst nicht verändern, sondern diese ggf. durch die Verwitterungsphänomene noch verstärkt werden. Hierdurch wird Raum geschaffen für ein kontrolliertes "Geschehen lassen". Beispielsweise stehen von Beginn an Material- oder Farbkontraste im Vordergrund, die mit der Verwitterung der Bekleidung sogar betont werden.
  3. durch die Akzeptanz der Verwitterungsphänomene in Kenntnis ihrer Wirkungsrelevanz für den architektonischen Anspruch und dem Vertrauen auf die natürliche Ästhetik des Materials selbst. Beispielsweise wird der an den Verwitterungsphänomenen ablesbare "Alterungsprozess", die "Vergänglichkeit", die "Unvollkommenheit", die "Lebendigkeit", die "Natürlichkeit" etc. zusammen als "Schönheit" aufgefasst/interpretiert.

Welche Strategie für das spezifische Projekt die passende ist, hängt maßgeblich vom Kontext, sowie von der Erwartungshaltung des Bauherrn und des Planenden ab, d.h. davon, ob und unter welchen Voraussetzungen der ablesbare Alterungsprozess akzeptiert und ggf. sogar als etwas Schönes erkannt werden kann. Ganz im Sinne des amerikanischen Künstlers und Schriftstellers Leonard Koren1 wonach Schönheit nicht als Zustand definiert wird (den es zu erhalten gilt), sondern als "dynamisches Ereignis", das zwischen dem Betrachter und dem Betrachteten entsteht, geprägt von äußeren Umständen.

Abb. 5: Maßstabsveränderung der Betrachtungsebene; die drei maßstäblichen Ebenen können nicht eindeutig voneinander
abgegrenzt werden – sie gehen ineinander über und beeinflussen sich gegenseitig (Quelle: Projektdatenblätter, Holzarchitektur der Gegenwart, Maren Kohaus, 2025)

Abb. 5: Maßstabsveränderung der Betrachtungsebene; die drei maßstäblichen Ebenen können nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden – sie gehen ineinander über und beeinflussen sich gegenseitig (Quelle: Projektdatenblätter, Holzarchitektur der Gegenwart, Maren Kohaus, 2025)

Die Verwitterungsphänomene der drei maßstäblichen Ebenen beeinflussen den architektonischen Ausdruck - sie wirken gemeinsam und wechselseitig gegenseitig (Quelle: Projektdatenblätter, Holzarchitektur der Gegenwart, Maren Kohaus, 2025)

Die Verwitterungsphänomene der drei maßstäblichen Ebenen beeinflussen den architektonischen Ausdruck - sie wirken gemeinsam und wechselseitig gegenseitig (Quelle: Projektdatenblätter, Holzarchitektur der Gegenwart, Maren Kohaus, 2025)

Autorin: Prof. Dr.-Ing. Maren Kohaus, Professur Entwurf und Konstruktion im Holzbau, Fakultät Holztechnik und Bau, Technische Hochschule Rosenheim

Inhalte dieses Textes sind der Dissertation der Autorin entnommen: Holzarchitektur der Gegenwart – Anspruch und Wirklichkeit des architektonischen Ausdrucks von Gebäudehüllen aus naturbelassenem Holz im Spannungsfeld zwischen den Grundsätzen der Moderne und einer materialgerechten Ausführung (März, 2025)

1 Koren, L. (2000). Wabi-sabi für Künstler, Architekten und Designer - Japans Philosophie der Bescheidenheit. Tübingen: Wasmuth.

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