02/2025 „Performance Gap und Rebound-Effekt: Zwei Herausforderungen für nachhaltiges Bauen“
Klimaschutz
Die Erkenntnisse zu Performance Gap und Rebound-Effekt haben weitreichende Konsequenzen für die Architekturplanung. Klassische Planungsmodelle, die auf idealisierten Annahmen basieren, reichen nicht mehr aus. Vielmehr müssen tatsächliche Nutzungsweisen und Verhaltensmuster frühzeitig in die Planung integriert werden. Projekte wie "Einfach Bauen" zeigen, dass minimalistische Ansätze – mit reduzierter Technik und einem Fokus auf passive Strategien – nicht nur nachhaltiger, sondern auch robuster gegen Fehlbedienungen sind.
Was ist der Performance Gap?
In der Architekturplanung entsteht oft eine Lücke zwischen der energetischen Planung und der realen Nutzung eines Gebäudes – der sogenannte Performance Gap. Diese Differenz beschreibt den Unterschied zwischen den theoretisch berechneten Energieverbräuchen und den tatsächlich gemessenen Werten. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Sie reichen von unvorhersehbarem Nutzerverhalten, wie dem Öffnen von Fenstern trotz installierter Lüftungsanlagen, bis hin zu Abweichungen bei der Bauausführung.
Der Rebound-Effekt: Wenn Einsparungen ins Gegenteil umschlagen
Eng verbunden mit dem Performance Gap ist der Rebound-Effekt. Dieser beschreibt, dass Effizienzgewinne oft durch verändertes Verhalten teilweise oder vollständig kompensiert werden. Ein Beispiel: In energieeffizienten Gebäuden neigen Bewohner dazu, mehr Komfort zu genießen, etwa durch höhere Raumtemperaturen oder intensivere Lüftung, weil die subjektiv wahrgenommenen Energiekosten niedriger erscheinen. Der Effekt untergräbt nicht nur Einsparungsziele, sondern führt in manchen Fällen sogar zu einem erhöhten Energieverbrauch.
Die Rolle des Nutzerverhaltens: Ein oft unterschätzter Faktor
Die Ergebnisse der Langzeitmessungen in drei Forschungshäusern in Bad Aibling von Florian Nagler Architekten und anderen Studien machen deutlich, dass technologische Optimierungen allein nicht genügen. Denn das Verhalten der Bewohner hat einen großen Einfluss auf die tatsächliche Energieeffizienz.Häufig wird davon ausgegangen, dass technologische Systeme wie Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung den Energieverbrauch automatisch senken. Doch wenn die Bewohner diese Systeme nicht wie vorgesehen nutzen – beispielsweise durch dauerhaft gekippte Fenster – verpuffen die Effizienzgewinne.
Die Messungen in Bad Aibling zeigen zudem, dass selbst einfache, wenig technisierte Lüftungskonzepte wie Fensterfalzlüfter oft nicht optimal genutzt werden. Über 70% der Fensteröffnungen erfolgen in Bad Aibling in Kippstellung, was aus energetischer Sicht ineffizient ist. Dieses Verhalten ist nicht immer rational erklärbar, sondern hängt stark von Gewohnheiten, Komfortwünschen und fehlender Aufklärung ab.
Strategien für eine bessere Baupraxis
Um den Performance Gap zu minimieren und den Rebound-Effekt zu vermeiden, sollten Architektinnen und Planer folgende Ansätze verfolgen:
- Nutzerzentrierte Planung: Planungsmodelle sollten nicht nur technische Parameter, sondern auch typische Verhaltensmuster berücksichtigen. Dies ist projektspezifisch und kann zum Beispiel über einen Austausch mit den zukünftigen Nutzerinnen und Nutzern in Erfahrung gebracht werden.
- Bildung und Aufklärung: Nutzer sollten über die Funktionsweise und die optimale Nutzung der Technik informiert werden, beispielsweise durch Schulungen oder intuitive Bedienungshilfen.
- Einfachheit vor Komplexität: Weniger ist oft mehr. Technisch einfache Systeme, die intuitiv nutzbar sind, reduzieren Fehlbedienungen und sorgen für langfristige Effizienz.
Ein entscheidender Vorteil solcher Ansätze liegt in der Robustheit: Weniger Technik bedeutet auch weniger Fehlerquellen. So zeigen die Forschungshäuser in Bad Aibling, dass passive Strategien wie eine gute Gebäudehülle und Fensterfalzlüfter in Kombination mit Nutzeraufklärung oft effizienter sind als komplexe Systeme. Doch selbst diese einfachen Lösungen funktionieren nur, wenn die Bewohner sie verstehen und akzeptieren.
Fazit: Einfachheit als Lösung
Performance Gap und Rebound-Effekt verdeutlichen, dass energieeffizientes Bauen mehr als Technik erfordert: Der Mensch steht im Zentrum. Gebäude, die auf einfache, robuste Lösungen setzen und das Verhalten der Nutzer berücksichtigen, sind nicht nur nachhaltiger, sondern auch wirtschaftlicher. Das Konzept des "Einfach Bauens" könnte eine Blaupause für die Architektur der Zukunft sein – eine Architektur, die Komplexität reduziert und den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Autor: Dr.-Ing. Tilmann Jarmer